Meistgesuchter Mann Europas Was wir über Amri wissen und was nicht

Berlin (dpa) - Anis Amri ist nach dem Anschlag auf einem Berliner Weihnachtsmarkt der meistgesuchte Mann Europas. Die Bundesanwaltschaft fahndet öffentlich nach dem Tunesier. Über ihn ist einiges bekannt, es bleiben aber viele Fragen.

WAS WIR WISSEN

Was wird ihm vorgeworfen?

Anis Amri (24) wird dringend verdächtigt, am Montagabend den Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gesteuert und mindestens zwölf Menschen getötet zu haben. Mehr als 50 weitere Besucher des Marktes wurden verletzt. Die Ermittler gehen von einem Terroranschlag aus. Es wird europaweit gefahndet, am Donnerstagabend wird Haftbefehl gegen Amri erwirkt.

Wieso ist man so sicher, dass er mit dabei gewesen sein könnte?

Die Fingerabdrücke des Terrorverdächtigen wurden am Fahrerhaus des Lkw sichergestellt, der am Montagabend in die Menschenmenge gerast ist. „Wir können Ihnen heute mitteilen, dass es zusätzliche Hinweise gibt, dass dieser Tatverdächtige mit hoher Wahrscheinlichkeit wirklich der Täter ist“, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zudem in Berlin.

Und wie kam man auf ihn?

Seine Papiere lagen im Fußraum des Lastwagens, der für den Anschlag benutzt wurde. Das passierte aber erst am Tag nach dem Anschlag, weil die Fahrerkabine zunächst versiegelt worden war. Das Führerhaus war erst durchsucht worden, nachdem der Lkw am Dienstag abgeschleppt worden war.

Seit wann ist Amri in Deutschland?

Amri kam im Juli 2015 nach Deutschland. Laut NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) tauchte er erst in Freiburg, dann in Nordrhein-Westfalen und schließlich in Berlin auf, wo er seit Februar 2016 überwiegend gelebt habe.

Weiß man, wo er unter anderem gewohnt hat?

Gemeldet war Amri laut „Spiegel Online“ unter anderem in Emmerich im Kreis Kleve (NRW). Dort durchsuchten Beamte eine Flüchtlingsunterkunft.

Hat er einen Asylantrag gestellt?

Ja, sein Antrag wurde aber im Juni dieses Jahres abgelehnt. Eine Abschiebung nach Tunesien scheiterte aber, weil er keinen Pass hatte. Seit Dezember gilt Amri als untergetaucht.

Wussten die Behörden, dass er gefährlich war?

Für die Behörden war er kein unbeschriebenes Blatt. Amri wurde in Berlin von März bis September dieses Jahres überwacht, weil es nach Angaben der Berliner Generalstaatsanwaltschaft Hinweise gab auf einen geplanten Einbruch. In dieser Zeit galt er auch als sogenannter Gefährder - damit sind unter anderem radikale Islamisten gemeint, denen schwere Straftaten zugetraut werden. Beweise für konkrete Anschlagspläne haben die Ermittler aber nicht gefunden.

Gab es auch Kontakte zu den Salafisten?

Die Sicherheitsbehörden hatten nach „Spiegel“-Informationen vor Monaten vage Hinweise darauf, dass sich Amri im Chat mit einem Hassprediger als möglicher Selbstmordattentäter anbot. Entsprechende abgefangene Äußerungen von Amri seien aber so verklausuliert gewesen, dass sie nicht für eine Festnahme gereicht hätten.

Und kannte Amri auch den Hildesheimer Salafisten-Prediger Abu Walaa?

Hinweise auf enge Kontakte Amris zum kürzlich verhafteten Abu Walaa haben die Ermittler nicht. Der Tunesier habe zwar in Salafistenkreisen verkehrt und sei auch in entsprechenden Wohnungen gewesen, hieß es aus Sicherheitskreisen. Auch NRW-Innenminister Ralf Jäger, sagte, Amri habe Kontakt zur radikal-islamistischen Szene gehabt. Ein wichtiges Teil eines salafistischen Netzwerkes soll er aber wohl nicht gewesen sein.

Hat Amri auch in anderen Ländern seine Spuren hinterlassen?

Ja, auch in anderen Ländern war er kein unbeschriebenes Blatt: Medienberichten zufolge wurde er in Italien und Tunesien bereits zu langen Haftstrafen verurteilt.

Was sagt Amris Familie dazu?

Seine Mutter hat ihn einem Medienbericht zufolge aufgerufen, sich zu stellen. War er tatsächlich der Täter, will sie sich von ihm lossagen, wie Nur al-Huda der tunesischen Zeitung Al-Chourouk erklärte.

Weiß man etwas über seine Zeit in Tunesien?

Amris Bruder Walid sagte Al-Chourouk, Anis habe Tunesien verlassen, weil er wegen Diebstahls eines Lastwagens zu Haft verurteilt worden war. Anis sei weder extremistisch noch religiös gewesen. Er soll aus einer armen Familie stammen, die in dem Ort Oueslatia rund 140 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Tunis wohnt.

WAS WIR NICHT WISSEN

War Amri wirklich beim Anschlag im Lkw?

Das scheint zumindest deutlich, aber es ist nicht vollkommen geklärt. Vielleicht wurden seine Papiere auch als Bekenntnis oder als falsche Fährte absichtlich im Lkw abgelegt. Es könnte auch sein, dass sie im Kampf mit dem später erschossenen polnischen Speditionsfahrer verloren gingen, dessen Leiche auf dem Beifahrersitz gefunden wurde. „Die Tatbeteiligung ist überhaupt nicht geklärt“, sagt NRW-Minister Jäger.

Wie gelangte der Täter an den Lkw?

Polnische Medien berichten unter Berufung auf die Spedition von GPS-Daten, die zeigten, dass der Wagen in Berlin am Tag der Tat ab etwa 16 Uhr mehrmals gestartet worden sei. Um diese Uhrzeit riss der Kontakt zwischen Spedition und Fahrer ab. Was dann bis zum Anschlag passierte ist nicht klar.

Wo ist Amri nach dem Ende der Observation in Berlin abgeblieben?

Bis September wurde er überwacht, dann verliert sich seine Spur. Die „Süddeutsche Zeitung“, NDR und WDR berichten, er sei im Dezember untergetaucht.

Was ist mit den Papieren aus Tunesien?

Nach Angaben des NRW-Innenministers Ralf Jäger trafen die für eine Abschiebung notwendigen Ausweispapiere aus Tunesien erst am Mittwoch, zwei Tage nach der Bluttat, in Deutschland ein. Das könnte Zufall sein.

War Amri ein Einzeltäter?

Amri könnte auch Komplizen gehabt haben. Es muss geklärt werden, ob er von außen gesteuert wurde oder aus eigener Initiative gehandelt hat.