Regierungsbildung „Wir schaffen das“ - oder?

Berlin (dpa) - Eigentlich fehlt nur noch, dass in der Nacht der Entscheidung eine Seite mit großem Getöse den ehrwürdigen Kaisersaal verlässt und mit Abbruch der Gespräche droht. Es gehört ja fast zur Dramaturgie bei Regierungsbildungen, dass auf der Zielgeraden die Zeit knapp und die Nächte länger werden.

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Doch die Jamaika-Sondierungen zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen sind weit weg vom normalen deutschen Politik-Geschäft der vergangenen Jahrzehnte. Manche sprechen von der schwierigsten Koalitionsbildung der Bundesrepublik. Exotisch auf jeden Fall.

Wenn an diesem Donnerstag um 13.00 Uhr in der ehrwürdigen Parlamentarischen Gesellschaft beim Bundestag die Türen hinter den Verhandlungsführern um CDU-Chefin Angela Merkel zufallen, liegt die Bundestagswahl fast acht Wochen zurück. Schwere Verluste für Union und SPD, deren Gang in die Opposition und die Erfolge der AfD haben die ungewöhnliche Jamaika-Konstellation erst nötig gemacht.

Seit knapp vier Wochen sondieren die ungleichen Partner nun schon, ob sie zusammenpassen oder nicht. Ununterbrochen beharken sich seither die kleinen Parteien, vor allem zwischen Teilen von CSU und Grünen fliegen die Fetzen.

Noch 24 Stunden vor der Entscheidungsrunde (ein Beteiligter: „Das wird eine megalange Nacht“) liefern sich CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und Grünen-Manager Michael Kellner am Mittwoch Scharmützel. Der Ex-Verkehrsminister hält dem Partner in spe „Uraltforderungen aus der grünen Mottenkiste“ und Autofahrer-Bevormundung vor - und greift so selbst zu den Klischees der alten Grabenkämpfe. Kellner keilt zurück: „Die tagtäglichen Dobrindt-Stänkereien lassen doch nur den Schluss zu, der will das Scheitern der Gespräche.“ Ob die beiden je ziemlich beste Freunde werden? Verlässliche Partner würde schon reichen.

Dabei weiß auch der Grüne, dass hinter Dobrindts selbstgewählter Polterer-Rolle wohl eine Reihe von Motiven stecken dürfte. Da ist die Frage, wie die CSU in Bayern 2018 erfolgreich den Wahlkampf um die absolute Mehrheit führen soll, wenn man im Bund mit den Grünen regiert. Aber wohl auch die Sorge um die eigene Zukunft. Was wird aus Dobrindt, wenn CSU-Chef Horst Seehofer früher oder später zu den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten gehört? Schließlich gilt er als Seehofer-Mann.

Nicht nur CSU und Grüne fremdeln bei den Marathon-Sondierungen so sehr, dass für manche kaum vorstellbar ist, wie Schwarz-Gelb-Grün reibungslos funktionieren soll. Klima, Verkehr, Flüchtlinge, Landwirtschaft, Finanzen - das, was aus den Verhandlungsrunden dringt, hinterlässt oft den Eindruck, dass da zusammenkommen soll, was nicht zusammen gehört. Zu tief die ideologischen Gräben, zu groß die Unterschiede in der konkreten Politik. Eigentlich kann sich da niemand wundern, dass diesem Neuanfang kein Zauber inne wohnt. Doch sollte das Wagnis gelingen, könnte dies auch helfen, die Gräben in der Gesellschaft zu überwinden.

Selbst wenn die Jamaikaner auf den letzten Metern der Sondierung noch zusammenkommen: Die nächsten Wochen dürften für Merkel & Co. nicht einfacher werden. Seehofer stellt sich schon am Samstag der heimischen CSU-Landtagsfraktion und dann dem CSU-Vorstand - dort will er nach den Rücktrittsforderungen aus den eigenen Reihen verkünden, wie er sich im Machtkampf mit Markus Söder seine Zukunft vorstellt.

„Wir schaffen das“, raunt Seehofer den Reportern zu, als er am Dienstag spätabends den Verhandlungsort in Berlin verlässt. Es ist der Satz, den er Merkel im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise so verübelt hat. Seine Worte sind auf das planmäßige Ende der Sondierungen gemünzt. Aber für Seehofer geht es um mehr: Als Parteichef könnte er sich wohl nur retten, wenn er als Minister an Merkels Kabinettstisch wechselt, mutmaßen manche. Das würde aber den Erfolg der Jamaika-Gespräche voraussetzen - mit einer ordentlich sichtbaren CSU-Handschrift im Koalitionsvertrag.

Die CDU-Chefin hat es da etwas leichter. Rücktrittsforderungen kommen bisher nur aus Splittergruppen der Partei. Trotzdem: Bei der CDU-Vorstandsklausur, bei der sie um ein Ja zu offiziellen Koalitionsverhandlungen werben will, dürften wieder Rufe nach einem Generationenwechsel und einer konservativeren Ausrichtung laut werden. Ob da die am Sonntag startenden fünf Konferenzen mit Amts- und Mandatsträgern Druck aus dem Kessel nehmen können? Ungewiss.

Für Grüne und FDP ist die Lage nicht entspannter. Eine Woche lang hat vor allem der linke Grünen-Flügel Zeit, Stimmung gegen ein gemeinsames Sondierungspapier mit Union und FDP zu machen. Denn erst am 25. November soll ein Parteitag grünes Licht für Koalitionsverhandlungen geben - oder er setzt ein Stoppsignal. Neuwahlen wäre die Folge, wahrscheinlich mit einem weiteren Erstarken der Rechtspopulisten von der AfD. Die Woche wird also kein Spaziergang für die Grünen-Verhandler um Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir.

Bei der FDP sitzt Parteichef Christian Lindner zwar fest im Sattel - ihn dürfte aber die Sorge umtreiben, seine Partei könnte auch in einer Jamaika-Koalition bis zur Unkenntlichkeit zerrieben werden. Und im Ergebnis wie nach der jüngsten schwarz-gelben Episode erneut aus dem Parlament fliegen. Doch der FDP-Verhandler Alexander Graf Lambsdorff gibt sich am Mittwoch pragmatisch: Er sei optimistisch, dass eine Einigung gelingen und der Zeitplan eingehalten werde. „Wir haben Tage von 24 Stunden. Und wenn die nicht ausreichen, dann nehmen wir die Nacht eben auch noch dazu.“