Dokumentation „Wir verlassen die EU, nicht Europa“: Mays Rede im Wortlaut
London (dpa) - In zwölf Punkten legt die britische Premierministerin Theresa May ihre Vorstellungen zum Brexit vor. Die Deutsche Presse-Agentur dokumentiert Mays etwa 45 Minuten dauernde Rede in Auszügen in einer Übersetzung:
„Vor kaum mehr als einem halben Jahr entschied sich das britische Volk für den Wandel. Die Menschen entschieden sich für einer bessere Zukunft unseres Landes. Sie entschieden sich dafür, aus der Europäischen Union auszutreten und sich auf die Welt einzulassen. Sie trafen diese Entscheidung mit offenen Augen und akzeptierten, dass der Weg nach vorn manchmal unsicher sein würde. Aber sie glaubten auch, dass er auf eine bessere Zukunft für ihre Kinder und Enkelkinder hinführen würde. Es ist die Aufgabe dieser Regierung, diese Zukunft zu schaffen.
Das heißt mehr als unser Verhältnis mit der EU neu zu regeln. Es heißt, die Gelegenheit dieses Augenblicks des nationalen Wandels zu packen, innezuhalten, und uns zu fragen, welche Art von Land wir sein wollen. Meine Antwort ist klar.
Ich will, dass dieses Vereinigte Königreich aus dieser Phase des Wandels stärker, gerechter, geeinter und offener nach außen hervorgeht als je zuvor. (...)
Das Ergebnis des Referendums war keine Entscheidung, uns nach innen zu wenden und aus der Welt zurückzuziehen. (...)
Wir sind ein europäisches Land - und stolz auf unser gemeinsames europäisches Erbe - aber wir sind auch ein Land, das immer schon über Europa hinaus auf die weitere Welt geschaut hat. (...)
Es ist wichtig zu verstehen: der 23. Juni war nicht der Tag, an dem Großbritannien entschieden hat, sich aus der Welt zurückzuziehen. Es war der Zeitpunkt, an dem wir uns entschieden haben, ein wahrhaft globales Großbritannien zu schaffen.
Ich weiß, dass diese und andere Gründe, aus denen Großbritannien diese Entscheidung traf, von unseren Freunden und Partnern in Europa nicht immer leicht verstanden werden. Und ich weiß, dass viele fürchten, dies könnte der Anfang einer weiteren Auflösung der EU sein.
Aber ich sage ganz klar: Ich will nicht, dass dies passiert. Es wäre nicht im besten Interesse Großbritanniens. (...)
Unsere Wahl, die EU zu verlassen, war keine Zurückweisung der Werte, die wir teilen. Die Entscheidung, die EU zu verlassen, zeigt nicht den Wunsch, sich von euch, unseren Freunden und Nachbarn, zu entfremden. Es war kein Versuch, der EU selbst oder den verbleibenden Mitgliedsstaaten zu schaden (...)
Wir werden verlässliche Partner, willige Verbündete und enge Freunde bleiben.(...)
Wir verlassen die Europäische Union, nicht Europa.
Und daher suchen wir eine neue und gleichberechtigte Partnerschaft, zwischen einem unabhängigen, sich selbst regierenden, globalen Großbritannien und unseren Freunden und Verbündeten in der EU. Keine teilweise Mitgliedschaft in der EU, keine assoziierte Mitgliedschaft, oder irgendwas, dass uns halb drinnen, halb draußen lässt. Wir wollen kein Modell übernehmen, dass andere Länder bereits haben. Wir wollen nicht an Häppchen der Mitgliedschaft festhalten, wenn wir gehen.
Nein, das Vereinigte Königreich verlässt die Europäische Union. Und meine Aufgabe ist es, dabei das richtige Abkommen für Großbritannien zu bekommen. (...)
1. Sicherheit
Wir stehen kurz davor, Verhandlungen zu beginnen. Das bedeutet ein Geben und Nehmen. Es wird Kompromisse geben müssen. Von beiden Seiten wird Vorstellungskraft notwendig sein. Und nicht alle werden jederzeit alles wissen können.
Aber mir ist klar, wie wichtig es ist, der Wirtschaft, dem öffentlichen Sektor und jedermann so viel Sicherheit wie möglich zu geben, während wir diesen Prozess durchlaufen. (...)
Daher werden wir, wenn wir das Gesetz zu den Europäischen Gemeinschaften aufheben, das „acquis“ - das existierende EU-Gesetzeswerk - in Britisches Recht umwandeln.
Dies wird dem Land maximale Sicherheit geben, wenn wir die EU verlassen. Die gleichen Regeln und Gesetze werden am Tag nach dem Brexit gelten wie zuvor. (...)
Ich kann heute bestätigen, dass die Regierung das endgültige Abkommen, das zwischen dem UK und der EU ausgehandelt wurde, beiden Parlamentshäusern zur Abstimmung vorlegen wird, bevor es in Kraft tritt. (...)
2. Kontrolle unserer eigenen Gesetze
Wir werden die Kontrolle über unsere Gesetze zurückholen und die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes in Großbritannien beenden. (...). Denn wir werden die Europäische Union nicht wirklich verlassen, wenn wir keine Kontrolle über unsere eigenen Gesetze haben.
3. Stärkung des Vereinigten Königreiches
(...)
4. Aufrechterhaltung der gemeinsamen Reisezone mit Irland
Wir können nicht vergessen, dass wenn wir austreten, das Vereinigte Königreich eine Landgrenze mit der EU haben wird. (...)
Niemand will zu den Grenzen der Vergangenheit zurückkehren, daher ist es eine Priorität für uns, so bald wie mögliche eine praktische Lösung zu liefern. (...)
5. Kontrolle der Einwanderung
(...) Großbritannien ist ein offenes und tolerantes Land. Wir werden immer Einwanderung, vor allem von Hochqualifzierten, wollen. Wir werden immer Einwanderung aus Europa wollen, und wir werden immer einzelne Einwanderer als Freunde willkommen heißen. Aber die Botschaft der Menschen vor und während der Abstimmungskampagne war klar: Brexit muss heißen, die Zahl der Menschen, die aus Europa nach Großbritannien kommen, zu kontrollieren.
6. Rechte für EU-Bürger in Großbritannien und Briten in der EU
(...) Wir wollen so bald wie möglich die Rechte von EU-Bürgern, die bereits in Großbritannien leben, und die Rechte von Briten in anderen Mitgliedsstaaten garantieren.
7. Schutz der Rechte von Arbeitern
(...) Während wir das europäische Gesetzeswerk in unsere inländischen Regeln umwandeln, werden wir sicherstellen, dass die Rechte von Arbeitnehmern voll geschützt und aufrechterhalten werden. (...)
8. Freier Handel mit europäischen Märkten
(...) Als Priorität werden wir ein mutiges und ambitioniertes Freihandelsabkommen mit der EU verfolgen. Dieses Abkommen sollte den freiest möglichen Handel in Gütern und Dienstleistungen zwischen Großbritannien und den EU-Mitgliedsstaaten erlauben. (...)
Aber ich möchte klarstellen: Was ich vorschlage, kann nicht die Mitgliedschaft im Binnenmarkt bedeuten.
Führende europäische Politiker haben oft gesagt, dass Mitgliedschaft bedeutet, die „vier Freiheiten“ von Gütern, Kapital, Dienstleistungen und Menschen zu akzeptieren. Und aus der EU draußen zu sein, aber ein Mitglied des Binnenmarktes zu bleiben, würde bedeuten, die Regeln der EU zu befolgen und diese Freiheiten umzusetzen, ohne Stimme, was diese Regeln sind. (...)
Es würde im Grunde bedeuten, die EU überhaupt nicht zu verlassen. (...)
9. Neue Handelsabkommen mit anderen Ländern
Ich will, dass Großbritannien seine eigenen Handelsabkommen verhandeln kann. Aber ich will auch zollfreien Handel mit Europa und dass grenzübergreifender Handel so reibungslos wie möglich läuft. Das bedeutet, dass ich nicht möchte, dass Großbritannien Teil der Gemeinsamen Handelspolitik ist, und ich will nicht, dass wir an den Gemeinsamen Außenzolltarif gebunden sind. (...)
Aber ich möchte, dass wir ein Zollabkommen mit der EU haben. (...) Ich bin unvoreingenommen darüber, wie wir das tun.
10. Der beste Ort für Forschung und Innovation
(...)
11. Kooperation im Kampf gegen Verbrechen und Terrorismus
(...) Ich möchte, dass unser künftiges Verhältnis mit der EU praktische Abmachungen zu Fragen des Gesetzesvollzugs und dem Teilen von nachrichtendienstlichem Material mit unseren Verbündeten in der EU enthält.
12. Ein reibungsloser, ordentlicher Brexit
(...) Es ist in niemandes Interesse, wenn es eine Klippe für die Wirtschaft gibt, oder eine Bedrohung für die Stabilität, während wir unsere bestehendes Verhältnis zur EU in eine neue Partnerschaft umwandeln.
Dabei meine ich, wir streben nicht eine Form eines unbegrenzten Übergangs an, in dem wir ewig feststecken wie in einem dauerhaften politischen Fegefeuer. Das wäre nicht gut für Großbritannien, und ich glaube es wäre auch nicht gut für die EU.
Stattdessen möchte ich, dass wir ein Abkommen über unsere zukünftige Partnerschaft erreichen, bis der zwei Jahre dauernde Artikel-50-Prozess abgeschlossen ist. Wir glauben, dass ein stufenweiser Umsetzungsprozess ... von beiderseitigem Interesse ist. (...)
Ich weiß, es gibt einige Stimmen, die einen bestrafenden Deal fordern, der Großbritannien bestraft und andere Länder entmutigt, denselben Weg zu gehen. Das wäre ein katastrophaler Akt der Selbstverletzung für die Staaten Europas. (...) Kein Abkommen ist besser für Großbritannien als ein schlechtes Abkommen. (...)
Wir gehen nicht an diese Verhandlungen heran in Erwartung eines Fehlschlags, sondern eines Erfolgs. (...)“