NSU-Prozess Wohllebens Aussage wird NSU-Prozess noch lange beschäftigen
München (dpa) - Es liegt schon am Morgen in der Luft, dass nach der mutmaßlichen Rechtsterroristin Beate Zschäpe auch Ralf Wohlleben sein Schweigen im NSU-Prozess brechen könnte.
Auf der Zuschauerempore haben gut ein Dutzend seiner Freunde und „Kameraden“ Platz genommen. So viele Beobachter aus der Szene sind selten zum Münchner NSU-Prozess angereist. Wohlleben schaut lange hoch und grüßt sie mit einem Lächeln. Neben ihm sitzt seine Ehefrau, die auch früher schon gelegentlich als Angeklagtenbeistand den Prozess verfolgt hat.
Der Richter beginnt dann aber doch erst mit der Routine. Drei Kripo-Ermittler sagen als Zeugen über Ausspähnotizen mit möglichen Anschlagszielen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) aus. Dann bittet überraschend Wohllebens Verteidigerin ums Wort für ihren Mandanten und seine Aussage.
Und damit ist erstmals, am 251. Verhandlungstag, die Stimme des groß gewachsenen Mannes zu hören, der bis dahin ebenso eisern geschwiegen hatte wie bis zur vergangenen Woche die Hauptangeklagte Beate Zschäpe. Fast zwei Stunden dauert sein mit leichter thüringischer Einfärbung selbst verlesener Vortrag.
Wohlleben beschreibt eine mehr oder weniger behütete Kindheit in Jena. Als 16-Jähriger riss er aus, kam in ein Jugendheim, wo er Tischler lernte. Später zog er wieder bei den Eltern ein, brach aber auch eine zweite Ausbildung ab und erlernte dann als dritten Beruf Fachinformatiker. Allerdings habe er keinen Job gefunden, was bereits mit seiner politischen Einstellung zu tun gehabt habe, berichtet er.
Für seinen politischen Werdegang nennt er die Erziehung in der DDR als „prägend“. Er habe „großen Nationalstolz“ empfunden, der „integraler Bestandteil der DDR-Erziehung war“. Das System habe er trotzdem nicht gemocht.
Aufschlussreich sind Wohllebens Aussagen zu den politischen Inhalten, die er vertrat - und möglicherweise bis heute vertritt. Gegen eine „industrialisierte Gesellschaft“, für eine völkische „Identität“, weil „nur ein Volk ohne Identität zur leichten Beute des Großkapitals“ werden könne. Gegen Ausländer habe er nichts, wohl aber gegen Politiker, die er „kulturvernichtende Vasallen“ nennt. Es ist ein langer Exkurs, der ein bisschen an die Einlassungen der früheren linksextremen RAF-Terroristen erinnert - mit dem Unterschied, dass er Gewalt ablehne, sagt Wohlleben.
Die zentrale Figur beim Entstehen des NSU ist für Wohlleben Tino Brandt, der derzeit wegen Kindesmissbrauchs eine Gefängnisstrafe verbüßt. Auf ihn kommt er immer wieder zurück - und damit auch auf die Rolle, die die Geheimdienste gespielt haben könnten. Brandt war hoch bezahlter V-Mann des Verfassungsschutzes. Was Wohlleben sagt, klingt ein bisschen so, als schreibe er Brandt die Rolle der „steuernden Zentralfigur“ hinter dem NSU zu - das ist letztlich der Vorwurf, den die Bundesanwaltschaft ihm selbst macht und den er zurückweist.
Brandt sei es gewesen, der ihm Geld zur Weitergabe an die abgetauchten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gegeben habe. Brandt sei es auch gewesen, der Veranstaltungen organisiert habe, der stets aktuelles Propagandamaterial mitbrachte und der die Szene zusammenhielt.
Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt bezeichnet er als „Freunde“. Dass die allerdings irgendwann zu Mördern werden könnten, habe er nicht für möglich gehalten. Aus Freundschaft habe er den Kontakt zu ihnen auch dann noch gehalten, als sie abgetaucht waren und die Polizei sie suchte. Er habe auch mehrmals mitbekommen, dass Zschäpe die Rückkehr in die Legalität versuchte oder Mundlos und Böhnhardt Pläne für eine Flucht nach Amerika oder Südafrika schmiedeten.
All das habe aber nicht geklappt, und dann sei 2001 auch noch Tino Brandt als V-Mann aufgeflogen. Er habe sich ein letztes Mal mit Böhnhardt und Mundlos getroffen, und zwar in Zwickau in einem Park, schildert Wohlleben. Einer der beiden Uwes habe gefragt, ob Brandt ihren Aufenthaltsort verraten habe. Daraus schließe er, dass auch Brandt Kontakt zu den dreien gehabt habe.
Auch über Waffen habe er Bescheid gewusst, gibt Wohlleben zu, nur habe nicht er sie beschafft, sondern die ebenfalls mitangeklagten Carsten S. und Holger G. Er sei im Gegenteil erschrocken gewesen, als Carsten S. eines Tages vor seiner Tür stand und eine Pistole bei sich hatte. Er habe die Pistole in der Hand gehabt und „aus Neugier“ den Schalldämpfer aufgeschraubt.
Dass es tatsächlich die Mordwaffe vom Typ „Ceska“ war, bezweifle er - sie sei „klobiger“ gewesen als die Mordwaffe, deren Fotos in der Beweisaufnahme gezeigt wurden, und der Schalldämpfer sei kürzer gewesen als die Pistole, während es bei der Mordwaffe genau umgekehrt sein soll.
Es sind vor allem die vielen Details in Wohllebens Aussage, die den NSU-Prozess noch lange beschäftigen werden. Er werde alle Nachfragen des Gerichts beantworten, kündigte er an. Richtig in den Stoff einsteigen will das Gericht aber erst im neuen Jahr.