Zeitungen: Schwarz-Gelb berät über Wulff-Nachfolge
Berlin (dpa) - „Spekulation“, „Erfunden“, „Unwahrheit“ - einen „Plan B“ gebe es nicht: Union und FDP weisen Berichte zurück, wonach die Parteispitzen hinter den Kulissen schon Gespräche über die Wulff-Nachfolge führen.
Sollte sich herausstellen, dass das wegen einer Kredit- und Medienaffäre unter Druck stehende Staatsoberhaupt nicht in allen Punkten die volle Wahrheit gesagt habe, wollten Kanzlerin Angela Merkel (CDU), CSU-Chef Horst Seehofer und FDP-Chef Philipp Rösler Wulff nicht mehr stützen, schreibt die „Rheinische Post“. Nach Angaben des Blattes und der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ („FAS“) soll dann ein Kandidat vorgeschlagen werden, den auch die Opposition mittragen kann.
Bundesregierung sowie führende Koalitionspolitiker wiesen am Samstag die Berichte über Gespräche zur Wulff-Nachfolge zurück. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte der „FAS“, natürlich stehe die Kanzlerin mit Vizekanzler Rösler in permanentem Kontakt: „Sie sieht aber keine Veranlassung, über eine Nachfolge für den Bundespräsidenten zu sprechen.“ Vize-FDP-Sprecherin Kathrin Klawitter erklärte: „Die Berichte und Gerüchte sind frei erfunden.“
Auch Seehofer stellte klar: „An diesem Bericht ist nicht das Geringste dran, er ist schlicht die Unwahrheit.“ In der CDU hieß es: „Das entbehrt jeder Grundlage.“ Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier (CDU), sagte im Deutschlandfunk: „Das ist eine blanke Spekulation. Und die weise ich zurück.“
Es wäre allerdings ungewöhnlich, wenn sich die Spitzen der Regierungsparteien nicht auf einen möglichen Rücktritt vorbereiten. In der Bundesversammlung, die das Staatsoberhaupt in geheimer Abstimmung wählt, hat Schwarz-Gelb nur noch eine knappe Mehrheit.
Das Regierungslager könnte sich nur sehr wenige Abweichler leisten, um den Bundespräsidenten ohne Hilfe der Opposition zu bestimmen. Daher wäre ein Kandidat sinnvoll, den auch SPD und Grüne mittragen können. Im Gespräch sind auch Ex-Umweltminister Klaus Töpfer und Bundestagspräsident Norbert Lammert (beide CDU). Wulff war 2010 erst im dritten Wahlgang gewählt worden. Seitdem ist die schwarz- gelbe Mehrheit in der Bundesversammlung weiter geschrumpft.
Am Samstagnachmittag kamen am Amtssitz des Bundespräsidenten etwa 300 Demonstranten zu Protesten gegen Wulff zusammen. Sie hielten auf dem Gehweg nahe dem Schloss Bellevue in Berlin-Tiergarten Schuhe hoch und folgten damit einem Aufruf über das Netzwerk Facebook. In der arabischen Kultur werden mit dieser Geste Menschen verhöhnt, aber auch Ärger und Verachtung ausgedrückt.
Die „Rheinische Post“ schreibt unter Berufung auf Regierungskreise, Merkel, Seehofer und Rösler hätten sich auf ein Vorgehen verständigt. Nach einem möglichen Rücktritt wollten sie einen Kandidaten vorschlagen, der auch von Rot-Grün akzeptiert werden könnte. Die „FAS“ zitiert FDP-Vertreter: „Der Vorschlag muss so sein, dass es der SPD schwer fällt, ihre Unterstützung zu verweigern.“
Seehofer rechnet nicht mit einem Rücktritt. Sollte Wulff stürzen, wäre der CSU-Chef als amtierender Bundesratspräsident übergangsweise das Staatsoberhaupt. Auf eine entsprechende Frage der „Süddeutschen Zeitung“ (Samstag) sagte Seehofer: „Das werden Sie nicht erleben!“
Altmaier erwartet kein schnelles Ende der Debatte. Es gebe noch offene Fragen. „Wir werden uns mit der Klärung von Sachfragen, und mit der Frage, wie was sich im einzelnen abgespielt hat, noch eine Reihe von Tagen oder möglicherweise Wochen zu beschäftigen haben.“
Scharfe Kritik übte SPD-Chef Sigmar Gabriel. „Es ist schlimm, dass der Bundespräsident es so weit hat kommen lassen. Diese ganze Auseinandersetzung ist unwürdig und abstoßend“, sagte er der „Bild“-Zeitung. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier forderte im „Tagesspiegel am Sonntag“ Merkel auf, über die politische Zukunft von Wulff zu urteilen. Statt lauer Erklärungen zur Rückendeckung müsse sie sich „endlich zu der Bewertung durchringen, ob die Präsidentschaft Wulff für weitere dreieinhalb Jahre trägt“.
Steinmeier zufolge hat sich an der Wertschätzung der SPD für ihren früheren Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck nichts geändert - trotz dessen Kritik an der kapitalismuskritischen Occupy-Bewegung. Gauck war 2010 Wulff unterlegen.