Herr Dietrich, die Datenpanne, bei der allein aus Deutschland 13 000 Patientendatensätze im Internet landeten – aus Ihrer Sicht ein Einzelfall oder ein strukturelles Problem?
Interview Ärzte-Vertreter: „Gesundheitsdaten sollten nicht zentral gespeichert werden“
Düsseldorf · Ärzte-Vertreter Wieland Dietrich nennt einen Grund für die Panne um Patientendaten.
Tausende Datensätze von Patienten sind für jedermann einsehbar ins Internet gelangt – unter anderem auch in Deutschland. Wieland Dietrich, Vorsitzender der Freien Ärzteschaft, sieht dahinter ein ganz grundsätzliches Problem bei der Speicherung der Daten.
Wieland Dietrich: Da gibt es grundsätzliche strukturelle Defizite. Es waren ja mehrere Länder weltweit und auch verschiedene Server betroffen. Es kann also kein lokales Serverproblem gewesen sein. Und deshalb greift es auch zu kurz, einen einzelnen Arzt oder eine Klinik jetzt anzugreifen, der oder die vielleicht nicht aufgepasst hat.
Aber was haben denn die Daten von Patienten auf einem solchen Server zu suchen?
Dietrich: Gar nichts, wenn Sie mich fragen. Wir sind der Meinung, dass Gesundheitsdaten nicht zentral gespeichert werden sollten.
Wie handhaben Sie es in Ihrer eigenen Praxis denn?
Dietrich: Ich habe über 70 000 Datensätze unserer Patienten mit allen Diagnosen auf einem PC gespeichert, der gar nicht ans Internet angeschlossen ist. So kann ich die Verantwortung für diese Daten auch tragen. Wenn sie hingegen einmal in eine Cloud gelangen, ist jede Kontrolle weg. Sie können nicht persönlich die Verantwortung für Datensicherheit tragen als Arzt in einem zentral vernetzten System.
Können es nicht alle Ärzte machen wie Sie?
Dietrich: Aber unsere Gesetzgebung zwingt die Ärzte ja, sich zentral zu vernetzen. Das ist gewollte Politik. Es geht um die elektronische Gesundheitskarte und die Abrufbarkeit von Patientendaten immer und überall. Aber damit kriegen wir die Gefahr solcher Datenpannen nicht mehr aus der Welt.
Aber sind die Vorteile der Gesundheitskarte, wenn ein Arzt beispielsweise immer gleich sieht, welche Medikamente ein Patient bereits nimmt, die Risiken wert?
Dietrich: Damit wird natürlich immer argumentiert. Aber dazu könnte ich auch einen Speicher nutzen, den der Patient bei sich trägt – oder einfach ein Arzneimittelheft. Mittlerweile verbringen die Ärzte ohnehin schon mehr Zeit am Computer als mit ihren Patienten. Ich will mir gar nicht bei jedem Patienten ewig Datensätze durchgucken. Das ist zeitraubend. Und im Übrigen steckt dahinter maßgeblich nicht medizinische Sinnhaftigkeit, sondern eine Kontrolle der Abrechnung.
Dass man den Ärzten selbst dann die Schuld gibt, wenn die Daten ihrer Patienten verloren gehen, geht aus Ihrer Sicht also nicht?
Dietrich: Nein. Mit dem Zwang, sich der Vernetzung anzuschließen, schafft die Politik die Voraussetzung für solche Pannen. Datensicherheit habe ich nur, wenn ich keinem zentralen System beitrete. Im Übrigen hat auch der Patient da überhaupt kein Mitspracherecht über die Speicherung seiner Daten, wenn sein Arzt an das System angeschlossen ist – er wird seines informationellen Selbstbestimmungsrechts beraubt. Sich dann hinzustellen als Bundesgesundheitsminister und zu sagen, die Ärzte müssten eben für Datensicherheit sorgen, ist eine dreiste Unverschämtheit.
Ihre Praxis wird sich also dem vernetzten System auch in Zukunft nicht anschließen?
Dietrich: Das werden wir nicht und zwar trotz der Sanktionen, die bereits greifen: Seit dem 1. Januar 2019 wird ein Prozent des Kassenhonorars abgezogen, wenn man sich der Dateninfrastruktur nicht anschließt. Aber ein Drittel der Ärzte und Psychotherapeuten in Deutschland sehen es wie wir. Patientendaten gehören nicht in ein zentrales Speichernetzwerk, von dem keiner weiß, wo die Datenspeicher genau eigentlich stehen.