Bei Conti entlädt sich der Frust
Die Beschäftigten in Frankreich fühlen sich von den deutschen Eignern verraten. Mit Wut im Bauch protestieren sie am Donnerstag in Hannover.
Paris. "Wir wissen, wo wir zuschlagen müssen", sagt Jerome verbittert. Seinen Zorn, seine Verzweiflung will er am Donnerstag in Hannover abladen, wo sich die Aktionäre der taumelnden Continental-Gruppe zur Jahreshauptversammlung treffen. Ein nächtlicher Sonderzug wird Jerome und 1100 seiner Kollegen aus dem nordfranzösischen Conti-Reifenwerk bei Compiegne in die niedersächsische Landeshauptstadt bringen. Die Stimmung unter den französischen Reifenwerkern ist auf dem Siedepunkt.
Große Hoffnungen hatten die 1120 Beschäftigten des Werks in Clairoix, das nach dem Willen der Chefetage in knapp zwölf Monaten komplett dicht gemacht werden soll, in die Justiz gesetzt. Doch die Richter im lothringischen Sarreguemines hatten am Vorgehen der Conti-Führung, die Mitte März das Aus für Clairoix aus praktisch heiterem Himmel verkündet hatte, formal nichts auszusetzen und die Klage in allen Punkten abgewiesen.
Als die Entscheidung am späten Dienstagnachmittag in der Picardie bekannt wird, entlädt sich der Frust. Voller Wut zertrümmern einige Dutzend "Conti"-Beschäftigte Büroräume der Unterpräfektur von Compiegne. Computer werden von den Schreibtischen gefegt, Fenster werden eingeschlagen, Akten fliegen auf die Straße.
Der Sachschaden ist am Ende beträchtlich. Später wird auch auf dem Werksgelände randaliert. "Wir sind keine Schafe mehr, jetzt werden wir zu Löwen, die zu allem bereit sind", ruft der Gewerkschaftsvertreter Xavier Mathieu den aufgebrachten Arbeitern zu. Auf dem Werksgelände qualmen Autoreifen und verpesten die Luft.
Verraten und getäuscht fühlen sie die Beschäftigten von den deutschen Eignern, die ihnen vor knapp zwei Jahren die Rückkehr zur 40-Stundenwoche ohne Lohnausgleich noch mit dem Versprechen einer sicheren Zukunft abgerungen hatten. Seit die Schließung verkündet wurde, brennt in Clairoix, wo die meisten Beschäftigten schon seit Jahrzehnten im Betrieb sind, die Luft.
Um Sabotageakte und weitere Ausschreitungen zu verhindern, stoppte die Geschäftsführung nach der Randale die Produktion "bis auf weiteres". Als die Frühschicht am Mittwoch um 6Uhr antritt, gibt es nichts zu tun. Die Reifenproduktion war vor dem Hintergrund der Automobilkrise und der angekündigten
Schließung ohnehin schon drastisch zurückgefahren worden. Zuletzt waren in dem Werk noch gerade 1000 Reifen am Tag - anstelle von 27 000 zu normalen Zeiten - produziert worden, eine reine "Beschäftigungstherapie" nach Ansicht Gerard Boutelles, seit 23Jahren im Betrieb. Nicht nur er fürchtet jetzt, dass der Produktionsstopp die Schließung des Werks noch beschleunigen wird.
Die Randale alarmierte indes auch die Pariser Politik. Premier Francois Fillon nannte die Gewaltakte inakzeptabel und kündigte juristische Schritte an. Mit wachsender Sorge und mit bangem Blick auf den nahen 1. Mai verfolgt Paris die wachsende Radikalisierung in den Belegschaften. Ex-Premier Dominique de Villepin sah gar schon ein "revolutionäres Risiko" am Horizont aufziehen.
Die Fälle, in denen Personalchefs oder Direktoren über lange Stunden in ihren Büros eingesperrt werden, um Neuverhandlungen zu ertrotzen, häufen sich. Erst am Dienstagabend hatten Beschäftigte des südwestfranzösischen Molex-Werks die beiden Chefs nach 25-stündiger "Geiselnahme" wieder freigelassen.
In aller Eile, unter dem Eindruck der Randale, bot sich derweil Industrieminister Luc Chatel als Vermittler im "Conti"-Konflikt an, der sich hierzulande längst zu einem Symbol der Krise hochgeschaukelt hat.
Doch in Clairoix schwinden die Hoffnungen, dass dies noch viel bringt. Mit Wut im Bauch traten die Mitarbeiter am Abend die Fahrt nach Hannover an.