BGH zwingt Nahverkehrsbetreiber zum Wettbewerb

Karlsruhe/Gelsenkirchen (dpa) - Harte Zeiten für die Deutsche Bahn: Die Weichen für mehr Wettbewerb im Milliardengeschäft um S-Bahn- und Regionalzugverbindungen sind gestellt.

Der Bundesgerichtshof untersagte am Dienstag auf die Klage eines Bahn-Konkurrenten in Nordrhein-Westfalen, entsprechende Aufträge ohne öffentliche Ausschreibung direkt zu vergeben (Az.: X ZB 4/10). Damit platzt dort ein lukratives Geschäft der Bahn. Der Regionalverkehr ist mit rund der Hälfte des Konzerngewinns der wichtigste Gewinnbringer der Bahn.

Politik und Verbraucherschützer lobten die Entscheidung. Sie erwarten eine Stärkung des Wettbewerbs, Einsparungen und mehr Qualität für die Bahnfahrer. „Das ist ein guter Tag für die Bahnfahrer“, sagte Verkehrsexperte Holger Krawinkel vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Mehr Konkurrenz nütze unmittelbar den Verbrauchern, sagte Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP).

Aktuell stehen nach Angaben der Deutschen Bahn mehr als 30 Streckenvergaben an, 2015 sind es dann nach Angaben der Verkehrsanbieter so viele wie noch nie in einem Jahr. Private Konkurrenten des Marktführers DB sind überzeugt, dass sie in Wettbewerbsverfahren mit modernen Wagen und gutem Service besser zum Zug kommen. Durch mehr Wettbewerb könnten die Bundesländer jährlich rund eine Milliarde Euro Fördermittel für den Schienennahverkehr sparen, sagte der Hauptgeschäftsführer des Privatbahnen-Verbands Mofair, Engelbert Recker.

Die Bahn unterstrich dagegen, dass sie für mehr Wettbewerb auf dem deutschen Markt gut gerüstet sei. Schon bisher würden mehr als zwei Drittel der deutschen Strecken im Wettbewerb vergeben. Die Bahn habe dabei „durchaus erfolgreich abgeschlossen“, sagte DB-Regio-Chef Frank Sennhenn.

In Nordrhein-Westfalen platzt mit dem Beschluss ein mühsam ausgehandelter Kompromiss zwischen Deutschlands größtem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR, Gelsenkirchen) und der Bahn. Beide hatten 2009 nach jahrelangem Rechtsstreit um Qualität und Pünktlichkeit vereinbart, dass die Bahn für das Land neue Züge beschafft und das Verbindungsnetz enger knüpft. Im Gegenzug wurden die Aufträge für die nordrhein-westfälischen S-Bahnverbindungen bis 2023 verlängert - ein Milliardengeschäft in Direktvergabe. Der Konkurrent Abellio, eine Tochter der niederländischen Staatsbahnen, sah sich benachteiligt, weil der Großauftrag nicht ausgeschrieben wurde.

Juristisch ging es bei der BGH-Entscheidung um die Frage, ob für die Direktvergabe der Aufträge das Allgemeine Eisenbahngesetz oder das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) gilt. Das Eisenbahngesetz hätte Direktvergaben erlaubt, das Gericht entschied sich aber für das Gesetz zum Schutz des Wettbewerbes. Ausnahmen seien nur in wenigen Fällen möglich. Die Vergabe von S-Bahnlinien zähle ausdrücklich nicht dazu, befand das Gericht.

Der Vorstandssprecher der Abellio Deutschland, Bernard Kemper, sagte, private Konkurrenten der Bahn böten einen besseren Service. Abellio prüfe jetzt Bewerbungen für Strecken auch außerhalb Nordrhein-Westfalens und rechne sich dabei gute Chancen aus.

Mit Aufhebung des Kompromissvertrages zwischen Bahn und VRR von 2009 gilt ein älterer Vertrag, der den VRR schlechter stellt. Nach einem internen Papier rechnet der VRR dadurch kurzfristig allein für 2011 mit Einnahmeverlusten von bis zu 25 Millionen Euro. Im schlimmsten Fall könnte auch der Rechtsstreit zwischen Bahn und VRR wieder beginnen.

Zunächst werde der VRR mit der Bahn aber neue Gespräche führen, sagte Sprecher Johannes Bachteler. Die Bahn habe mit ihrem neuen S-Bahn-Konzept auf der Grundlage des Kompromisses wichtige erste Schritte getan, sagte er. Kurzfristige Folgen für die NRW-Kunden wie Fahrpreiserhöhungen oder gar Streckenstilllegungen seien nicht zu befürchten.