Chinas Industrie sucht Nähe zu Deutschland
Hannover (dpa) - Der Auftritt Chinas gibt bei der Hannover Messe den Ton an. Das Reich der Mitte möchte stärker von deutscher Hightech profitieren - nicht nur als Kunde, auch als Ideengeber und Investor.
Zweifel an einem funktionierenden Patentschutz versucht das Partnerland zu zerstreuen.
China will sich vom Absatzmarkt für deutsche Technologien zum Partner auf Augenhöhe in Handel und Forschung aufschwingen. „Es bahnt sich eine reife, gesunde und stabile Entwicklung an. Das gegenseitige Vertrauen vertieft sich“, sagte Regierungschef Wen Jiabao am Montag auf der Hannover Messe.
China ist in diesem Jahr Partnerland der größten Industrieschau der Welt mit knapp 5000 Ausstellern. Nicht nur die 500 chinesischen Teilnehmer, auch viele deutsche Unternehmen setzen auf einen Ausbau der gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen. Beim Reizthema Patentschutz versprechen die Chinesen, die Sorgen der deutschen Wirtschaft ernst zu nehmen - Fälschungen kosten derzeit jährlich Milliarden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht die ökonomische Zusammenarbeit beider Länder auf Kurs: „Der Warenfluss hat sich gut entwickelt. Er ist inzwischen ein breiter Strom geworden“, sagte sie bei einem Wirtschaftsforum, das sie mit Wen besuchte. Das deutsch-chinesische Handelsvolumen sei im vergangenen Jahr auf 144 Milliarden Euro gewachsen, der Wert aller deutschen Exporte nach China habe sich in den letzten drei bis vier Jahren verdoppelt.
Doch 40 Jahre nach der Aufnahme diplomatischer Kontakte mit Peking gebe es auch ein immer stärkeres Interesse chinesischer Investoren in der Bundesrepublik. „Das ist keine Einbahnstraße“, meinte Merkel.
Die deutsche Schlüsselbranche Maschinenbau erhofft sich nach dem schwachen Start ins Jahr 2012 einen deutlichen Schub bei den Bestellungen in den kommenden Monaten - auch dank der boomenden Wirtschaft in Fernost. „China ist inzwischen Exportland Nummer eins - und das mit großem Abstand“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Hannes Hesse.
Neben der Absatzschwäche in vielen Ländern kämpfen die Unternehmen jedoch auch mit wachsenden Milliardenschäden durch Produktpiraterie. Eine VDMA-Umfrage unter rund 400 Firmen ergab, dass nachgebaute Maschinen und Anlagen die deutschen Maschinenbauer im vorigen Jahr 7,9 Milliarden Euro an Umsatz kosteten - 24 Prozent mehr als 2010.
„China wird mit Abstand am häufigsten genannt“, sagte Hesse zu der Studie. Die Zahl der von dort stammenden Plagiate gehe mittlerweile aber zurück. „Dagegen nehmen Plagiate aus Deutschland zu“, berichtete der VDMA-Mann. Am zweithäufigsten erklärten die Befragten, sie litten besonders stark unter Fälschungen aus dem eigenen Land.
Wen sagte zu, die Rechte von Unternehmen an eigenen Entwicklungen zu respektieren. „China wird sich (...) an den Schutz des geistigen Eigentums halten“, kündigte er bei dem Wirtschaftsforum an. „Je tiefer das Vertrauen ineinander ist, desto größer ist der Raum für Kooperationen miteinander. China ist auch gern bereit, noch mehr aus Deutschland zu importieren“, erklärte der Pekinger Regierungschef.
Im Gegenzug wünsche er sich aber, dass sich Deutschland im Rahmen der EU für eine Lockerung von Einfuhrbeschränkungen stark mache. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte, nötig sei ein fairer Wettbewerb. Beim Schutz geistigen Eigentums habe sich die Lage gebessert: „Wir haben auf diesem Gebiet Fortschritte erzielt.“
Ganz ablegen konnte der VDMA seine Skepsis nicht: „Wir wissen natürlich auch, dass es nicht so ganz einfach ist, allgemeine Aussagen von Politikern umzusetzen“, meinte Hesse. Grund zur Sorge gebe es angesichts von Firmenübernahmen oder Beteiligungen durch Investoren aus China nicht: „Ich glaube nicht, dass wir einen Ausverkauf des deutschen Maschinenbaus sehen.“ Siemens-Chef Peter Löscher sagte zu Wen: „Ich möchte betonen, dass wir auch Investitionen chinesischer Partner in Deutschland willkommen heißen.“
Mit Blick auf die generellen Wachstumschancen 2012 gab sich der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) optimistischer als die Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem jüngsten Gutachten. Ein Plus von einem Prozent in diesem Jahr sei erreichbar. Die Dynamik werde in den kommenden Monaten zunehmen, glaubt BDI-Präsident Hans-Peter Keitel: „Wir setzen auf Erholung im zweiten Halbjahr.“ Allerdings sei die Entwicklung in den einzelnen Branchen stark unterschiedlich.
Auch der VDMA rechnet „nur für einige wenige Monate mit kleinen Minusraten bei der Produktion“. Ende 2011 und Anfang 2012 hatten die Maschinen- und Anlagenbauer weniger Bestellungen verbucht. „Wir sind vorsichtig, bleiben aber optimistisch“, betonte Hesse. Insgesamt werde die Maschinenbau-Produktion 2012 jedoch wohl nicht zulegen.
Dagegen erwartet die deutsche Elektro- und Elektronikindustrie 2012 neue Bestwerte beim Umsatz. „Die aktuellen Daten zur Konjunktur, die Entwicklung des Geschäftsklimas, die Lagebeurteilung sowie die Exporterwartungen der Unternehmen stimmen uns sehr zuversichtlich“, sagte der Präsident des Branchenverbandes ZVEI, Friedhelm Loh. Der Umsatz werde auf 185 Milliarden Euro steigen und die Spitzenjahre 2007 und 2008 (je 182 Milliarden Euro) übertreffen. Für die Produktion rechnet die Branche mit einem Plus von 5 Prozent.
„Die Verstärkung der Zusammenarbeit mit China erfordert auch mehr Rechtssicherheit für die deutsche Industrie“, mahnte Loh. Es gehe um die Einhaltung des Patentschutzes sowie mehr Transparenz und Planbarkeit bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen.
Ein schwieriges Thema für die deutschen Maschinenbauer bleibt der Fachkräftemangel. Derzeit gebe es bundesweit über 110 000 offene Ingenieursstellen, berichtete der Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Nach einer gemeinsam mit dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln erarbeiteten Studie summiert sich der Verlust an Wertschöpfung durch nichtbesetzte Jobs auf knapp 8 Milliarden Euro.