Das vergessene Geld auf der Bank

„Nachrichtenlose Konten“ — der Landtag will Erben helfen, die nichts von ihrem Glück wissen. Kreditinstitute sollen aktiv werden.

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Düsseldorf. Die Enkel räumen nach dem Tod der Großeltern die Regale aus. Sie werfen viele der Bücher in eine große Altpapierkiste. Und wie es der Zufall will, rutscht aus einem Lexikon noch ein altes Sparbuch heraus. Darauf ein Guthaben von mehreren Tausend Euro.

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Der Fall ist fiktiv, aber so ähnlich passiert er wohl immer wieder. Und wird deshalb am Freitag auch Thema für den nordrhein-westfälischen Landtag sein: „Angehörigen zu ihrem Erbe verhelfen und das Problem der nachrichtenlosen Konten lösen“ — so lautet die Überschrift eines Antrags von SPD und Grünen. Dieser greift einen Plan auf, den Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) schon früher ins Spiel gebracht hatte.

Walter-Borjans möchte, dass „nachrichtenlose“ oder „unbewegte“ Konten, bei denen die Vermutung naheliegt, dass die Gläubiger entweder verstorben oder diese Konten aus anderen Gründen in Vergessenheit geraten sind, wieder den Gläubigern oder ihren Erben zugänglich gemacht werden.

Der Finanzminister kann zwar nichts über die absolute Anzahl solcher Konten sagen, wohl aber macht er eine Rechnung auf, um welche Dimension es sich handelt. Und zwar ausgehend von der Vermutung, dass der Anteil nachrichtenloser Konten an den gesamten Spareinlagen der Banken, Sparkassen und anderer Institute in NRW zwischen 0,19 und 0,25 Prozent liegt. Da der Bestand an Spareinlagen in NRW rund 130 Milliarden Euro ausmache, komme für diese Konten ein Wert von fast 300 Millionen Euro zusammen. Bundesweit seien es zwei Milliarden Euro. Der Verband Deutscher Erbenermittler, so heißt es im Antrag von SPD und Grünen, habe die Summe sogar auf neun Milliarden Euro beziffert.

SPD und Grüne kritisieren nicht nur, dass diese Finanzmittel den wahren Berechtigten, den Kontoinhabern oder deren Erben, vorenthalten werden. Sondern auch, dass sie „bei den Banken verbleiben und damit faktisch deren Eigenkapital und Gewinn mehren“.

Kern der Pläne ist die Schaffung eines zentralen Registers, wie es dies beispielsweise bereits in der Schweiz gibt: Die Kreditinstitute, aber auch Versicherungen, sollen verpflichtet werden, nach definierten Fristen nachrichtenlose Guthaben zu melden. Und wenn die Bank bei der Erbenermittlung selbst nicht weiterkomme, sollen sie die Guthaben an die Nachlassgerichte melden.

Weil nach deutschem Erbrecht am Ende der Erbenkette immer der Staat steht — wenn kein Erbe ermittelt werden kann oder alle Erben die Erbschaft ausgeschlagen haben — liegt es nicht so fern, dass es auch ein staatliches Interesse an einer Neuregelung gibt. Walter-Borjans sagt dazu, er gehe davon aus, dass die im Rahmen von unbewegten Konten an das Land fallenden Fiskalerbschaften keine Größenordnung hätten, „die nennenswerte Spielräume für den Landeshaushalt eröffnet.“ Das sei auch nicht Ziel der Initiative.

Die Banken sind ganz und gar nicht einverstanden mit dieser Initiative, die freilich erst noch auf Bundesebene umzusetzen wäre. Steffen Pörner, Geschäftsführer des Bankenverbands NRW, betont, dass die Kreditwirtschaft keinen Anlass sieht, etwas an der „bestehenden und bewährten Praxis“ hinsichtlich nachrichtenloser Konten zu ändern. Es gebe einen bewährten und funktionierenden Suchprozess. Pörner: „Wenn der Kontakt zum Kunden verloren gegangen ist, zum Beispiel, wenn Post als unzustellbar zurückgesandt wird, stellt jedes Kreditinstitut Nachforschungen an. Sollte dauerhaft kein Kontakt mit dem Kunden herstellbar sein, wird das Vermögen in jedem Fall für den Kunden erhalten.“

Das Kreditinstitut sei ja auch nicht Eigentümer eines nachrichtenlosen Kontos und dem Vermögen darauf. Der Schutz des Eigentums sei ein hohes Verfassungsgut. Das gelte selbstverständlich auch für Vermögenswerte, die die Bürger den Banken und Sparkassen anvertrauen. Pörner: „Die Politik sollte nicht den Eindruck erwecken, dieser Schutz stehe in ihrem Belieben. Erst wenn der Inhaber eines Kontos stirbt und kein Erbe zu finden ist, erbt letztlich der Staat.“

Der Verbandsgeschäftsführer zweifelt auch das Volumen von zwei bis neun Milliarden Euro an. Das Finanzministerium Baden-Württemberg etwa vermute eher einen Betrag von 14 Millionen Euro. Pörner: „Dass derartige Guthaben bei den Banken verbleiben und damit faktisch Eigenkapital und Gewinn mehren, ist so nicht richtig: Es handelt sich um eine steuerrechtliche Notwendigkeit, nach 30 Jahren so zu verfahren, Besitzansprüche des Kunden bleiben in der Regel weiter gewahrt.“ Ein zentrales Register bedeute einen unangemessenen Aufwand bei zweifelhafter Kosten-Nutzen-Relation, ebenso die vorläufige Übertragung von Vermögenswerten an den Fiskus.

Und dann wird Pörner sehr deutlich: „Vor dem Hintergrund der Sachlage erscheint uns das von der Landesregierung behauptete Ziel der Initiative unglaubwürdig. Tatsächlich dürfte die Finanzverwaltung NRW auf eine Enteignung von Sparern abzielen, die ihre Gelder über einen längeren Zeitraum — aus welchen Gründen auch immer — nicht bewegt haben. Das ist mit der Eigentumsordnung unserer Verfassung nicht zu vereinbaren und würde das Vertrauen der Bürger in den Staat unterminieren.“

Der eingangs geschilderte fiktive Fall vom Auffinden eines Sparbuchs war noch ein Glücksfall für die Enkel. Ein Sparbuch fällt bei einer Haushaltsauflösung schon mal leicht auf. In Zeiten, in denen Konten online geführt werden, werden solche Zufallsfunde wohl noch seltener. Und damit das Problem für die Erben noch größer. Umso dringender ist der Rat, seinen Erben durch eine transparente Buchführung einen guten Überblick zu verschaffen.