Der festgefahrene Tarifkonflikt
Ein Arbeitgeber, zwei Gewerkschaften - das macht eine Einigung für die Mitarbeiter der Bahn so kompliziert.
Seit inzwischen vier Monaten ist die Auseinandersetzung zwischen der Bahn und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) im Gang. Mehrmals schien eine Annäherung möglich — dann aber stoppte die GDL die Gespräche wieder.
Die GDL will ihre Verhandlungsmacht in Tarifrunden ausdehnen. Ihr genügt es nicht mehr, nur für die rund 20 000 Lokführer Tarifregeln auszuhandeln. Sie erhebt Anspruch auf GDL-Tarifverträge auch für etwa 17 000 andere Eisenbahner, für die bisher allein die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) Tarifverträge abgemacht hat.
Die Gewerkschaft beruft sich auf Artikel 9 des Grundgesetzes. Darin ist die Koalitionsfreiheit verankert — also auch das Recht, für alle Berufe Gewerkschaften zu gründen. Die GDL leitet daraus ab, dass sie für all ihre Mitglieder Tarifverträge abschließen darf - Stichwort: Tarifpluralität.
Die Bahn wolle der GDL ihre Rechte nicht nehmen, erwidert der Konzern. Auch stelle niemand ihre Existenz infrage. Die Bahn hat von Anfang an klargemacht, dass sie verschiedene oder sich gar widersprechende Tarifverträge für ein und dieselbe Berufsgruppe unbedingt vermeiden will.
Die Bahn plädiert ebenso wie die EVG und auch der Deutsche Gewerkschaftsbund für das Mehrheitsprinzip: Es soll jeweils diejenige Gewerkschaft Tarifverträge aushandeln dürfen, die in der betreffenden Berufsgruppe die Mehrheit hat. Das wäre bei den Lokführern wie bisher die GDL, bei allen anderen aber die EVG. Die Berufsgruppe „Zugpersonal“, bei der die GDL eine Mitgliedermehrheit von 51 Prozent reklamiert, gebe es so bei der Bahn überhaupt nicht.
Die Bahn hatte am Wochenende der GDL einen „Tarifvertrag zur Regelung tariflicher Verfahrensfragen“ vorgeschlagen. Darin wird auf sieben Seiten detailliert festgehalten, wie sich EVG, GDL und Bahn bei Tarifverhandlungen eng abstimmen müssen und was bei Meinungsverschiedenheiten zu tun ist. Der Vertragsentwurf sieht auch ein Verhandlungsmandat der GDL für die Zugbegleiter vor.
Der springende Punkt ist jedoch: Sollten sich beide Gewerkschaften nicht über Tarifregelungen verständigen, soll letztlich das Ergebnis der Verhandlungen mit der EVG gelten. Weselsky sprach daher von einer „Scheinzuständigkeit für Zugbegleiter“, die die GDL nicht akzeptieren könne.
Die Bahn selbst kostet ein Streiktag mindestens einen einstelligen Millionenbetrag. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft warnte, bei einem ununterbrochenen Ausstand von mehr als drei Tagen seien in der Industrie Produktionsunterbrechungen zu erwarten. Die Schäden könnten dann schnell auf mehr als 100 Millionen Euro pro Tag steigen.