Deutsche Züge für Großbritannien

Großbritannien saniert sein marodes Bahn-Netz. Siemens baut die Züge dazu am Standort in Krefeld.

London. Es ist eine Operation am offenen Herzen: Großbritannien saniert sein marodes Bummelbahn-System.

Fittere S-Bahn-Netze, neue Bahnhöfe in der Hauptstadt, mehr Pendlerstrecken und eine Hochgeschwindigkeitstrasse in den Norden der Insel: Und bei fast allen Projekten mit Milliarden-Volumen wirken deutsche Firmen mit.

Wer in England mit dem Zug unterwegs ist, braucht Nerven aus Stahlschienen: Die Trassen sind überlastet, die Passagierzahlen klettern schneller als die kühnsten Prognosen.

Vor allem rund um London hält die Infrastruktur kaum Schritt: 45 Minuten brauchen die Hauptstädter im Schnitt, um zu einem der Dutzend Bahnhöfe zu gelangen. Dort steigen sie in Züge, die voller und langsamer sind als die U-Bahn, die sie hingebracht hat.

Für den boomenden Südosten, wo astronomische Immobilienpreise viele Londoner vor die Tore der Stadt zwingen, gerät die Last des Pendelns zum Standortproblem. Bis 2018 sollen mehr als 1,2 Millionen Vorort-Bewohner mit „Crossrail“ ein nagelneues S-Bahn-System gebaut bekommen:

30 neue Haltestellen erschließen die Strecke vom Londoner Speckgürtel bei Berkshire, vorbei am Schloss Windsor ins Bankenviertel hinein. Endstation nach 118 Kilometern ist Heathrow, der Flughafen Europas mit der höchsten Auslastung.

Die Erschließung der Strecke quer durch London ist ein Mammutprojekt, das die deutsche Firma Herrenknecht aus Schwanau stemmt. Sie liefert die tonnenschweren Bohrmaschinen, die derzeit 21 Kilometer Tunnel unter der Stadt und sogar unter der Themse hindurchgraben.

Auch bei der neuen Regionalexpress-Strecke „Thameslink“ zwischen Nord-London und Brighton ist ein Unternehmen aus Deutschland zum Zug gekommen: Siemens baut ab 2014 an seinem Standort Krefeld 1140 Waggons für die Linie.

Es ist der größte Auftrag, den die Bahnsparte von Siemens jemals in Großbritannien an Land gezogen hat. 1,8 Milliarden Euro zahlen die Briten für das Projekt — ein Geschäft, das viele gern im eigenen Land an Bombardier vergeben hätten.

Dass die Züge nun in NRW statt in Derby gebaut werden, Siemens sogar neue Depots für die Instandhaltung einrichtet, sorgt nicht nur bei britischen Gewerkschaften für Kritik.

Doch andersherum lässt sich auch die britische Bahnbranche nicht abhängen: Der britische Verkehrskonzern „National Rail“ hat in Wuppertal ein Abkommen unterzeichnet, mit dem die Angelsachsen zum Fahrplanwechsel im Dezember 2015 zwei lukrative Pendlerrouten in NRW bedienen dürfen.

Sie übernehmen für 1,6 Milliarden Euro den Rhein-Münsterland-Express RE7 von Krefeld über Köln nach Hamm und die RB48 von Wuppertal nach Bonn über Köln. Enthalten sind in dem Volumen 170 Millionen Euro für neue Züge, die Bombardier bei Berlin herstellen wird.

„NRW ist eine emsige, spannende Region“, erklärt Richter das Engagement der Briten auf dem deutschen Bahnmarkt. „Mit deutlich mehr Sitzplätzen in den neuen Zügen können wir auch all jene auf die Schiene locken, die zurzeit morgens im Stau stehen.“