Wirtschaft Dieselskandal: Tausende Davids vereint gegen Goliath
Gebündelte Kräfte in Sachen Lkw-Kartell und Dieselskandal. So arbeitet der deutsche Ableger des US-Staranwalts Michael Hausfeld.
Düsseldorf. Bei einem Kartell tun sich Unternehmen zusammen, die eigentlich Konkurrenten sind. Sie sprechen Preise und anderes ab und hebeln so zum Nachteil ihrer Kundschaft den Wettbewerb aus. Fliegt das Ganze auf, drohen ihnen Kartell-Bußgelder in Millionenhöhe. In einem zweiten Schlag melden sich dann Anwaltskanzleien und knöpfen sich die ertappten Unternehmen erneut vor. Sie verlangen Schadensersatz für ihre durch die Kartellabsprachen geschädigten Mandanten.
Eine solche Kanzlei, spezialisiert auf diesen Kartell-Schadensersatz, ist Hausfeld. Ein deutscher Ableger des berühmt-gefürchteten US-Anwalts Michael Hausfeld. Seit Anfang 2016 gibt es die Kanzlei in Berlin und nun auch an der Düsseldorfer Königsallee. Warum sich die bundesweit mittlerweile 18 Anwälte ganz und gar nicht als „Blutsauger“ sehen, sondern eher auf der Seite der Guten, das erklärten Christopher Rother, Deutschlandchef von Hausfeld, und Alex Petrasincu, Büroleiter am Standort Düsseldorf, im Gespräch mit unserer Zeitung.
Auch wenn sich das Geschehen erst mal nur auf Unternehmensebene abspielt, bekomme die Auswirkungen eines Kartells am Ende jeder zu spüren, sagt Rother. „Kartelle führen zu höheren Preisen, schlechterer Qualität, weniger Innovation und zu Konzentration wirtschaftlicher Macht. Und wo Kartelle sind, da ist auch Korruption nicht mehr weit.“ Petrasincu beschreibt die Auswirkungen anhand des sogenannten Lkw-Kartells, in dem sich seine Kanzlei für klagende Spediteure engagiert. Die EU-Kommission hatte vier Lkw-Hersteller wegen unerlaubter Preisabsprachen zu Bußgeldern von knapp drei Milliarden Euro verurteilt. Volvo/Renault, Daimler, Iveco und DAF hatten nach den behördlichen Feststellungen von 1997 bis 2011 die Herstellerpreise koordiniert. MAN musste keine Geldbuße zahlen, weil das Unternehmen als Kronzeuge die Ermittlungen unterstützte.
Petrasincu rechnet an einem Beispiel vor, was die Preisabsprachen für einen kleinen Spediteur mit zehn Lkw bedeuten: Wenn ein einzelner Lkw 50 000 bis 80.000 Euro kostet und man konservativ rechnet, dass der Spediteur aufgrund der Absprache pro Lkw zehn Prozent des Kaufpreises mehr bezahlen muss, also 5000 bis 8000 Euro pro Wagen, kommt im Ergebnis ein Schaden von geschätzt 150.000 bis 240.000 Euro zusammen. Wobei unterstellt wird, dass der Spediteur in der Zeit der festgestellten Kartellabsprachen (1997-2011) etwa 30 Lkw gekauft hat.
Nun wüssten die sich absprechenden Hersteller, dass ein einzelner Spediteur wegen der hohen Kosten (Gerichts- und Anwaltskosten, Kosten der Gegenseite, falls der Prozess verloren geht) sich schwertut, sich zur Wehr zu setzen. Darum werden die Verfahren gebündelt, und das geht so: Mehr als 3000 Unternehmen mit rund 100.000 Lkw haben ihre Ansprüche an den Rechtsdienstleister Financial Right abgetreten. Eine Art Inkassounternehmen. Für dieses wiederum übernimmt Hausfeld die gerichtliche Durchsetzung. Gewinnt Financial Right, bekommen die Spediteure den zugesprochenen Schadensersatz abzüglich einer Provision von 28 bis 33 Prozent. Geht der Prozess verloren, trägt der Rechtsdienstleister allein das Kostenrisiko.
Dass die Sache nicht nur Spediteure und Lkw-Hersteller interessieren muss, erklärt Petracincu so: „Schließlich ging es ja auch um die Absprache der Hersteller, gesetzlich vorgeschriebene strengere Abgasnormen möglichst spät durchzuführen.“ Das habe also Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit.
In einem weiteren, viel bekannteren Fall der streitlustigen Anwälte geht es auch um Abgase. Im VW-Diesel-Skandal tut sich die Kanzlei Hausfeld besonders hervor. Mit ähnlicher Vorgehensweise. Schon gut 35.000 VW-Käufer haben sich über den Dienstleister Myright zusammengetan. Und Hausfeld ficht die Sache juristisch gegen VW durch. Weil es in Deutschland keine Sammelklage gibt, treten auch hier die geprellten VW-Kunden ihre Ansprüche an den Rechtsdienstleister ab. Verlieren die Anwälte den Prozess in letzter Instanz, haben die Mandanten keine Kosten. Gewinnen sie, so müssen die Klienten eine Provision von 35 Prozent des Erlöses bezahlen.
Hausfeld-Anwalt Rother erklärt, dass das finanzielle Risiko dieses Rechtsstreits der amerikanische Prozessfinanzierer Burford Capital trägt, der mit mittlerweile 40 Millionen Euro die Finanzierung deutscher Mandanten unterstütze. Mit so viel Kapital im Rücken könne man großen Spielern etwa der Autoindustrie, die „einen beliebig langen Atem haben, gern auf Zeit spielen und die Gegenseite aushungern“, etwas entgegensetzen.
Einen langen Atem brauchen die Hausfeld-Anwälte im Streit mit VW durchaus. Vor dem Landgericht Braunschweig ging ein Musterverfahren in erster Instanz verloren, nun geht man in die zweite Instanz vor dem Oberlandesgericht Braunschweig. Am Ende wird wohl der Europäische Gerichtshof entscheiden.
Verklagt werden in diesem „größten Betrugsfall der Wirtschaftsgesichte“ (Rother) nicht die Händler, sondern VW. Weil der Autohersteller eine Manipulationssoftware in Millionen Dieselautos einbaute, hätten diese überhaupt nicht zugelassen werden dürfen. Darum müsse VW den vollen Kaufpreis von im Schnitt 25.000 Euro erstatten. Das Argument, dass die Autos weiterhin auf den Straßen fahren und ein entsprechender Schaden sich gar nicht realisiert habe, lässt Rother nicht gelten. Angesichts drohender Fahrverbote gehe er davon aus, „dass die Fahrzeuge innerhalb von zwei bis drei Jahren zwangsweise stillgelegt werden.“
Allen, die sich bis dahin nicht rechtlich gewehrt hätten, werde VW dann entgegenhalten, dass die Ende 2018 ablaufende Verjährungsfrist eingetreten sei. Darum sei jetzt Handeln geboten.