Digitalisierung bei der Bahn - Kaiserzeit trifft auf Schiene 4.0
Auf dem Weg zum autonomen Zug plant die Bahn eine digitale Revolution in ihrem Netz — Hohe Anfangsinvestitionen.
Berlin. Neue Signaltechnik interessiert die meisten Bahnkunden wohl nicht wirklich, doch wenn am Ende der autonom fahrende Zug ohne Lokführer kommt, wird es prickelnd. Genau auf den Weg dahin begibt sich jetzt die Deutsche Bahn. Deren Chef Richard Lutz sprach von einem „noch nie da gewesenen Entwicklungsschub“. Infrastruktur-Vorstand Ronald Pofalla erläuterte am Donnerstag bei einer Fachkonferenz die Details.
„Digitale Schiene Deutschland“ heißt das Konzept, mit dessen Umsetzung auf der Neubaustrecke Berlin-München schon begonnen wurde. Dort ersetzt ein digitales Kontrollsystem namens ETCS (European Train Control System) die bisherigen Lichtsignale; der Lokführer bekommt alle Angaben kabellos auf sein Display. Nach anfänglichen Problemen arbeitet das System inzwischen einwandfrei. Es soll deutschland- und sogar europaweit ausgebaut werden; die EU hat entsprechende Vorgaben gemacht. Die Schweiz ist schon umgerüstet. Allein in Deutschland müssen dafür 400.000 Kilometer Kupferkabel durch Glasfaserleitungen ersetzt werden. Sobald ETCS grenzüberschreitend existiert, entfallen auch viele bisherige Hindernisse im internationalen Verkehr.
Das ist längst nicht alles. Über die Glasfaser sollen künftig auch ständig Informationen in Echtzeit über den Zustand der Gleise und eventuelle Störungen wie etwa Tiere im Gleisbett oder Erdrutsche erfasst werden. „Faseroptisches Sensorsystem“ nennt sich das. Zum Gesamtumbau gehört auch die Umrüstung der 2800 Stellwerke auf digitale Signale und ein digitales Ferndiagnosesystem für die Weichen. „Die Kaiserzeit trifft Technik 4.0“, sagte Pofalla unter Hinweis darauf, dass Teile der Bahnanlagen derzeit über 100 Jahre alt sind.
Wenn alles überall umgerüstet ist — die Bahn peilt das Jahr 2030 für 80 Prozent der Strecken an — könnte auf dem bestehenden Netz 20 Prozent mehr Verkehr aufgenommen werden, weil die Züge in geringeren Abständen hintereinander fahren können. Neubaustrecken im gleichen Umfang würden laut Pofalla 50 Milliarden Euro kosten. Der Bahnmanager erhofft sich aber noch viel mehr: Schwere Züge könnten flüssiger fahren und so Energie sparen, die Zentralen hätten jederzeit einen Gesamtüberblick und auch die Bahnkunden könnten genauer informiert werden. Sicherheit, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit stiegen. Das autonome Fahren als Fernziel nannte Pofalla nicht, jedoch sehen Bahnfachleute die Entwicklung analog zum Auto dahin gehen.
Zwei Einschränkungen gibt es allerdings: Zum einen müssten wohl an manchen Strecken neue Planfeststellungsverfahren durchgeführt werden, wenn dort wesentlich mehr Züge fahren. Inklusive Lärmschutz. „Das wird kein Selbstläufer“, so Pofalla. Zum anderen ist offen, woher das Geld für diese Rieseninvestition kommen soll, die Insider auf etwa 20 Milliarden Euro schätzen. „Darüber werden wir mit unserem Eigentümer reden“, sagte Bahnchef Lutz und meinte den Bund.
Dort ist man nicht ganz abgeneigt. Die bahnpolitische Sprecherin der SPD, Kirsten Lühmann, sagte unserer Zeitung, dass das Vorhaben sinnvoll sei „und wir als Bund das natürlich finanzieren müssen“. Denn sonst müsse die Bahn ihre Trassenpreise erhöhen, die man jedoch gerade senken wolle, um den Schienen-Gütertransport konkurrenzfähiger zu machen. Lühmann: „Wir werden über die Finanzierung in den anstehenden Koalitionsverhandlungen reden müssen.“ Es geht um eine Größenordnung von 800 Millionen bis eine Milliarde Euro pro Jahr. Die Grünen und die FDP signalisierten bereits grundsätzliche Unterstützung für das Vorhaben. Und falls es bei der Union schwierig wird, hat die Bahn einen Joker im Ärmel: Pofalla war früher CDU-Generalsekretär und Kanzleramtsminister von Angela Merkel. Jetzt könnte sich seine Anstellung bezahlt machen.