Diskussion um Rettungsschirm verunsichert Märkte
Berlin/Brüssel/Frankfurt (dpa) - Nur zwei Wochen nach dem Brüsseler Krisengipfel der Euroländer ist die Alarmstimmung zurück: Schon in den nächsten Tagen könnten sich die Finanzminister der G7 angesichts der weltweiten Turbulenzen an den Finanzmärkten treffen.
Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi kündigte am Freitagabend in Rom ein solches Treffen an, nannte aber keinen Termin oder Ort dafür. Ein Sprecher relativierte später, dass die Entscheidung dafür noch nicht endgültig gefallen sei. Derweil kritisierte der Vorsitzende der Euro-Gruppe, Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker, die heiß laufende Debatte um eine mögliche Aufstockung des Euro-Krisenfonds EFSF.
Am Freitag glühten die Telefondrähte zwischen Staats- und Regierungschefs wichtiger Staaten: Bundeskanzlerin Angela Merkel beriet sich mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, mit Großbritanniens Premierminister David Cameron und Berlusconi. Merkel wollte zudem mit US-Präsident Barack Obama die anhaltende Krise erörtern.
„Die Politik muss der Irrationalität der Finanzmärkte aktive Ruhe entgegensetzen“, sagte Juncker der Nachrichtenagentur dpa. Die auf dem Gipfel beschlossenen neuen Eingreifmöglichkeiten des Krisenfonds müssten „bis Anfang September, spätestens Mitte September“ von den Eurostaaten ratifiziert werden. Er sei überzeugt, dass dieser „Stabilitätsrettungsplan“ vom Juli funktionieren und die Märkte beruhigen werde.
Juncker widersprach damit indirekt dem EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso, der am Vortag eine Diskussion über eine Ausweitung des mit 440 Milliarden Euro Kreditvolumen ausgestatteten Krisenfonds angeregt hatte. Auch EU-Währungskommissar Olli Rehn schloss am Freitag eine solche Aufstockung nicht aus.
Die Märkte verunsichert diese Diskussion zusätzlich: Weltweit war nach der dramatischen Talfahrt vom Vortag keine Entspannung in Sicht. An der Frankfurter Börse sprachen Händler von einer „Handelswoche des Grauens“.
Der Dax konnte seine Verluste am Freitagnachmittag nach besser als erwartet ausgefallenen US-Arbeitsmarktdaten nur kurze Zeit etwas eindämmen und schloss knapp 2,8 Prozent schwächer. Er blieb damit den achten Tag in Folge im Minus und verlor inzwischen seine gesamten Jahresgewinne. Die europäischen Börsen boten das gleiche Bild. Zuvor waren Dow Jones und Nikkei eingebrochen. In New York zeigte sich der Dow Jones zum europäischen Handelsschluss Am Freitag ebenfalls schwach. Das weltweit wichtigste Börsenbarometer steuert damit auf den zehnten Verlusttag der vergangenen elf Tage zu.
An den Börsen wächst die Furcht, dass die Schuldenkrisen in Europa und den USA den Wirtschaftsaufschwung abwürgen. Volkswirte halten die panikartigen Verkäufe an den Börsen allerdings für übertrieben und kritisieren ein „Herdenverhalten“. Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise kommentierte: „Die Sichtweise der Märkte wird sich aber in den nächsten Wochen wieder ausbalancieren.“
Die italienische Regierung will angesichts des anhaltend massiven Drucks der Finanzmärkte bei der Sanierung der Staatsfinanzen aufs Tempo drücken. Berlusconi kündigte auf einer Pressekonferenz mit seinem Finanzminister Giulio Tremonti an, der bis 2014 geplante ausgeglichene Haushalt des Landes solle möglichst schon 2013 erreicht und zudem in der Verfassung festgeschrieben werden. Zuvor war in Rom bekannt geworden, dass die zuständigen Kommissionen des Abgeordnetenhauses bereits in der kommenden Woche - trotz der Ferienzeit auch des Parlaments - in die Diskussion über den angestrebten ausgeglichen Etat des höchstverschuldeten Landes einsteigen sollen.
Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) reagierte unwirsch auf die neuerliche Diskussion um die Ausstattung des Rettungsfonds. „So eine Debatte kommt zur Unzeit. Es ist gerade einmal zwei Wochen her, da wurden weitreichende und gute Beschlüsse gefasst“, sagte der Vizekanzler der Nachrichtenagentur dpa. Rösler betonte, die jüngsten Gipfel-Entscheidungen vom 21. Juli müssten konsequent umgesetzt werden. „Deswegen sehe ich gar keine Notwendigkeit für eine erneute Diskussion.“
Rehn versuchte, die Wogen zu glätten. Es sei seit langem die Position der Kommission, die tatsächliche Kreditfähigkeit des EFSF zu verstärken und den Umfang seiner Aktivitäten auszuweiten, sagte Rehn in Brüssel. „Wir müssen bereitstehen, um unsere Krisenwerkzeuge anzupassen.“ Er räumte ein, die Finanzmärkte hätten nicht wie erhofft auf die Beschlüsse des EU-Sondergipfels reagiert. Die Staats- und Regierungschefs der 17 Euro-Staaten hatten am 21. Juli ein zweites Hilfspaket für Griechenland und die Ausweitung der EFSF-Aufgaben auf den Weg gebracht.
Ein Grund für die Talfahrt der Märkte sei die Schuldendebatte in den USA gewesen. Rehn äußerte aber auch Selbstkritik: „Wir hatten Schwierigkeiten, den Märkten die Beschlüsse zu vermitteln.“
China versprach derweil, weiter europäische Staatsanleihen kaufen zu wollen. Während eines Besuches in Polen sagte der chinesische Außenminister Yang Jiechi nach Angaben des Außenamtes in Peking: „China hatte immer Vertrauen in die Euro-Zone und den Euro.“ Sein Land habe seinen Besitz an europäischen Staatsanleihen in den vergangenen Jahren ausgeweitet. „China wird Europa und den Euro in der Zukunft weiterhin unterstützen.“
Der deutlich wachsende Druck der Finanzmärkte auf Italien und Spanien in den vergangenen Tagen sei nicht gerechtfertigt, sagte Währungskommissar Rehn. „Es ist nicht so, als ob sich die Grundlagen der italienischen und spanischen Wirtschaft über Nacht geändert hätten“. Er unterstrich sein Vertrauen in die beschlossenen Sparmaßnahmen der beiden Länder. Weder Spanien noch Italien benötigten Hilfen aus dem Fonds.
Die Risikoaufschläge für spanische Staatsanleihen rutschten erstmals seit langem unter die für italienische Bonds geforderten Renditen. Die Rendite der spanischen Anleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren ging von 6,284 Prozent am Vortag auf 6,053 Prozent zurück. Für italienische Anleihen sind 6,081 Prozent fällig.