Draghis Arsenal gegen Mini-Inflation
Frankfurt/Main (dpa) - Mario Draghi hat die Tür weit aufgestoßen: Breit angelegte Anleihenkäufe sollen das Deflationsgespenst aus Europa vertreiben, falls die Preisentwicklung nicht wie erwartet im April merklich anzieht.
Zinsen nahe Null, billiges Geld für Banken im Überfluss - steht die Europäische Zentralbank (EZB) nun vor dem nächsten Tabubruch? Dass die Währungshüter in höchstem Maße alarmiert sind von der niedrigen Inflation im Euroraum, ist seit der Sitzung des EZB-Rates vom Donnerstag klar. Viele deutsche Ökonomen hoffen, dass EZB-Präsident Draghi dennoch Ruhe bewahren wird. Schließlich betonte auch der Italiener erneut, er sehe derzeit keine Gefahr eines Preisverfalls auf breiter Front, der die Konjunktur abwürgen könnte.
„Wenn wir im April nicht eine höhere Inflationsrate sehen, dann bekommen wir eine deutlich andere Geldpolitik“, ist Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer überzeugt: Die EZB werde in so einem Fall nicht zögern, in großem Stil Staatsanleihen und womöglich Pfandbriefe (covered bonds) aller Euroländer zu kaufen. Michel Martinez von der Société Générale kommentiert: Ein solches Programm unter dem Fachbegriff „Quantitative Easing“ (QE) sei „nun offiziell Teil des Werkzeugkastens“ der EZB.
Zumindest sind die Weichen für ein solches Programm nach angelsächsischem Vorbild gestellt. „Der EZB-Rat ist sich einig, dass die EZB gegebenenfalls auch weitere unkonventionelle Maßnahmen im Rahmen ihres Mandats einsetzen wird, um die Risiken einer zu langen Periode niedriger Inflationsraten in den Griff zu bekommen“, hatte Draghi nach der jüngsten Ratssitzung mehrfach betont. Ausdrücklich verwies er auf die Diskussion über QE.
In der Tat war die Teuerungsrate im März mit 0,5 Prozent noch niedriger als erwartet - und so niedrig wie seit November 2009 nicht mehr. Doch kann die EZB mit dem Aufkauf von Anleihen überhaupt etwas ausrichten gegen die Mini-Inflation?
Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise glaubt das nicht. Die aktuell schwache Kreditvergabe in Südeuropa erkläre sich auch damit, dass dort viele Haushalte und Firmen überschuldet seien, nachdem zuvor jahrelang auf Pump gelebt wurde. Zudem stelle die EZB den Banken schon unbegrenzt billiges Geld zur Verfügung, das theoretisch in neue Kredite für einen Konjunkturaufschwung fließen könnte. „Die Banken müssen die notleidenden Kredite in ihren Bilanzen erstmal abschreiben, um Platz für neues und profitables Kreditgeschäft zu schaffen“, erklärt Heise.
Von Deflation - also sinkenden Preisen quer durch alle Warengruppen und in deren Folge einem für die Konjunktur gefährlichen Käuferstreik - wollen die meisten Ökonomen in Deutschland derzeit nicht sprechen. Zwar sinken die Preise in einigen Eurostaaten. „Doch das sind diejenigen Länder, die sinkende Löhne und Preise benötigen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen“, erklärt Jan Holthusen von der DZ Bank. Heise bekräftigt: „Es ist nicht so, dass die Europäer sich weigern würden zu konsumieren, wie es manche behaupten: Die Sparquoten sind stabil und in einigen Ländern fallen sie sogar.“
„Deflation ist einer der Begriffe, der am meisten missbraucht wird“, meint Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer. „Ich wäre sogar entspannt, wenn wir leicht negative Inflationsraten im Euroraum hätten, wenn das darauf zurückzuführen ist, dass Länder an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen und wir Verbraucher weniger für Energie zahlen müssen“, sagt Krämer. Was seit einigen Monaten an der Preisfront in Südeuropa passiere, sei alles andere als gefährlich.
Selbst Draghi rechnet vor: 70 Prozent des Inflationsrückgangs gingen auf das Konto gesunkener Energie- und Lebensmittelpreise. Dennoch hofft auch in Deutschland mancher auf baldiges Eingreifen der EZB: „Der steigende Deflationsdruck in anderen Ländern ist auch ein großes Problem für Deutschland“, meint der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Aus Sicht des früheren EZB-Mitarbeiters wäre der Ankauf privater und öffentlicher Anleihen durch die EZB ein wirksames Instrument, „weil dieser die Wurzel der Deflation bekämpft - die schlechte Kreditvergabe an Unternehmen und das fehlende Vertrauen in den Krisenländern“.
Krämer hält dagegen: „Breit angelegte Anleihenkäufe helfen nicht gegen das vermeintliche Problem der Deflation, sondern dürften die Finanzminister der Krisenländer und deren Banken freuen.“ Doch die Währungshüter sind nervös, wie Christian Schulz von Berenberg analysiert: „Jedwede negative Überraschung könnte zunächst eine Zinssenkung auslösen und - falls der Schock sehr gewichtig ist - auch Anleihenkäufe.“