EU-Sozialbericht zeichnet Europa in düsteren Farben
Brüssel/Luxemburg (dpa) - Die nördlichen Euroländer hängen den Süden zunehmend ab - die soziale Lage wird immer schwieriger. Die EU-Kommission zeigt sich in ihrem aktuellen Bericht besorgt.
„Nach fünf Jahren Wirtschaftskrise ist die Rezession zurückgekehrt, die Arbeitslosigkeit hat Höhen erreicht, wie wir sie seit fast zwei Dekaden nicht mehr gesehen haben“, erklärte EU-Sozialkommissar Laszlo Andor bei der Vorstellung des Sozialberichts in Brüssel. „Auch die soziale Situation hat sich verschlechtert.“
Die jüngsten Arbeitslosenzahlen geben ihm Recht: 18,8 Millionen Menschen waren im November in den 17 Ländern der Eurozone arbeitslos, meldete die EU-Statistikbehörde Eurostat. Das sind 11,8 Prozent und 0,1 Prozentpunkte mehr als im Vormonat. Zum Vorjahresmonat stieg die Arbeitslosenzahl um mehr als 2,01 Millionen. Deutschland gehörte mit 5,4 Prozent dabei zu den Ländern mit der niedrigsten Arbeitslosenquote.
Die Sozialsysteme würden dabei zunehmend strapaziert, warnte die EU-Kommission. „Nach einigen Jahren Dauerkrise sind die meisten nationalen Sozialsysteme kaum noch in der Lage, die Einkünfte der Haushalte gegen die Folgen der Krise zu schützen“, stellte Andor fest. Bei zunehmend klammeren Staatskassen seien auch die Mittel etwa für das Arbeitslosengeld immer knapper geworden - mit negativen Folgen für die Portemonnaies der Bürger und damit für den privaten Konsum.
Sorgen bereiten vor allem die Krisenländer Griechenland und Spanien. Hier war laut Eurostat im November mehr als jeder Vierte ohne Job. Und die Zahlen kletterten rasant: In Griechenland stieg die Quote zwischen September 2011 und September 2012 um 7,1 Prozentpunkte. Aktuellere Zahlen lagen für Griechenland nicht vor.
Im ebenfalls gebeutelten Zypern legte die Arbeitslosigkeit innerhalb eines Jahres um 4,5 Prozentpunkte zu, auf 14 Prozent im November. In Spanien lag der Anstieg bei 3,6 Prozent innerhalb eines Jahres. Die Länder im Süden der Eurozone drohten zunehmend den Anschluss an den Norden zu verlieren, warnte Andor.
Immer mehr Arbeitslose haben dabei Probleme, eine neue Beschäftigung zu finden. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen ist im Laufe der Wirtschaftskrise weiter gestiegen. Während 2009 noch 33 Prozent aller Arbeitslosen ein Jahr oder länger ohne Beschäftigung blieben, waren es 2011 insgesamt 42,5 Prozent. Dies liege auch an falschen Qualifikationen, sagte Andor: „In einigen Ländern, besonders in Süd- und Osteuropa, passen Fähigkeiten und Jobs nicht gut zusammen - und dies hat sich verschlechtert.“
Auch das Armutsrisiko hat weiter zugenommen. Als von Armut bedroht versteht die EU-Kommission Menschen, die Schwierigkeiten haben, grundlegende Lebenshaltungskosten zu decken, die wenig arbeiten oder deren verfügbares Haushaltseinkommen nicht mehr als 60 Prozent des mittleren Einkommens beträgt. Besonders in Ost- und Südeuropa trifft dies viele Menschen, in Bulgarien gar jeden Zweiten.
Wer einmal von Armut bedroht ist, hat insbesondere in Griechenland oder Malta Probleme, sich wieder aufzurappeln. In Spanien dagegen ist die Gefahr des materiellen Abstiegs groß, aber auch die Chancen wieder aufzusteigen.
Im Kampf gegen Krise und Armut empfiehlt der Sozialkommissar eine Steuerverschiebung weg von der Arbeit - dies soll Jobs schaffen helfen. Außerdem bezog Andor eindeutig Stellung für gesetzliche Mindestlöhne und verkniff sich auch einen Seitenhieb nicht: In Ländern wie Deutschland sei das Risiko hoch, trotz Arbeit arm zu werden.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßte, dass die EU-Kommission die „soziale Schieflage Europas“ thematisiere. „Dieser bislang blinde Fleck der EU-Krisenpolitik schafft enormen sozialen Sprengstoff und reißt alte Gräben auf. Sichtbar wird ein neues Nord-Süd-Gefälle, ein Zustand, den wir überwunden glaubten“, teilte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach mit.
Die Situation auf dem Arbeitsmarkt in der Europäischen Union insgesamt ist übrigens ein wenig besser als die Lage in der Eurozone. 26,1 Millionen Menschen waren im November in allen 27 EU-Ländern ohne Job, das entspricht einer Arbeitslosenquote von 10,7 Prozent.