Europäische Ratingagentur startet im Frühjahr
Berlin (dpa) - In der Schuldenkrise wurde der Ruf nach einer europäischen Ratingagentur immer lauter - als Gegengewicht zu Moody's, Fitch sowie Standard & Poor's. Bald startet europäische Konkurrenz.
Bis die sich etabliert hat, dürfte aber noch viel Zeit vergehen.
Noch im Frühling soll die von der Unternehmensberatung Roland Berger konzipierte europäische Ratingagentur an den Start gehen - und bis Jahresende die ersten Expertisen über die Bonität von Staaten veröffentlichen.
„Ziel ist es, bis Ende des ersten Quartals 2012 die Verträge zu unterzeichnen und im zweiten Quartal eine privatfinanzierte, nicht gewinnorientierte Stiftung wahrscheinlich mit Sitz in Holland zu gründen“, sagte Roland-Berger-Partner Markus Krall der Wirtschaftszeitung „Euro am Sonntag“. Eine Sprecherin unterstrich indes, dass die entsprechenden Verträge noch nicht geschlossen seien. Derzeit liefen intensive Gespräche. „Ziel der laufenden Roadshow ist es, in den nächsten Monaten rund 30 Investoren vertraglich zu binden, die bereit sind, circa 300 Millionen Euro für die Gründung der Ratingagentur einzubringen“, sagte sie am Sonntag der dpa.
Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann hält einen europäischen Konkurrenten zu den amerikanischen Platzhirschen für sinnvoll, allerdings gehe das nicht über Nacht. „Grundsätzlich würde ich es begrüßen, wenn es eine europäische Ratingagentur gäbe“, sagte Ackermann bei einem Besuch der dpa-Zentrale in Berlin. „Aber einige wenige Banken in Europa können eine solche Agentur nicht gründen, da sie unabhängig sein muss. Außerdem braucht es viele Jahre, bis eine solche Rating-Agentur sich ein entsprechendes Renommee aufgebaut hat“, sagte Ackermann. Eine von Staaten getragene Agentur hätte nach Ackermanns Ansicht ebenfalls das Problem mangelnder Unabhängigkeit.
Politiker, wie Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker, fordern seit langem, das Beinahe-Monopol der drei großen US-Agenturen Standard & Poor's, Moody's sowie Fitch zu brechen. Als Modell für ein europäisches Gegengewicht hatte Juncker die deutsche Stiftung Warentest genannt. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert warnte davor, sich von einer neuen Agentur einen „Befreiungsschlag“ zu versprechen. „Die Etablierung einer europäischen Ratingagentur würde viel Zeit benötigen“, sagte er der „Welt am Sonntag“. Bei der Finanzierung der neuen Agentur soll der Staat außen vor bleiben, wie Krall in der Tageszeitung „Die Welt“ (Samstag) bekräftigte. „Wir freuen uns, wenn die Politik das Projekt einer Europäischen Ratingagentur unterstützt. Allerdings wünschen wir uns nicht, dass sie mit Steuergeldern finanziert wird.“ Krall fürchtet, dass eine staatliche Beteiligung „die Frage nach der Unabhängigkeit der Agentur aufwerfen“ könnte.
Die neue Ratingagentur soll transparenter als die US-Konkurrenz arbeiten und mit einer Haftung für den Fall von Fehlern versehen werden. „Momentan sind Ratings juristisch reine Meinungen und unterliegen keiner Produkthaftung“, wird Krall zitiert. Ratings seien aber öffentliche Güter mit erheblichen wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen.
Die operative Tochter, die die Ratings dann erstellt, könne demnach die Rechtsform einer SA oder AG mit Sitz in Frankfurt und einer „starken Präsenz“ in Paris haben. Ende des Jahres sollen voraussichtlich die ersten Länder-Ratings auf den Markt kommen, Anfang 2013 die ersten Banken-Ratings. Voll einsatzfähig könne die Agentur dann ein bis zwei Jahre nach Gründung sein.
Mit Standard & Poor's, Moody's und Fitch dominieren drei Unternehmen den Markt, die in amerikanischer Hand sind oder zumindest angelsächsische Wurzeln haben. Die Agenturen stehen immer wieder am Pranger, zuletzt weil S&P auf einen Schlag gleich neun Euro-Staaten schlechtere Noten für ihre Kreditwürdigkeit verpasste. Den Bonitätsprüfern wird vorgeworfen, so die Krise zu verschärfen. In der Finanzkrise 2008 war ihnen allerdings genau das Gegenteil vorgehalten worden - nämlich zu lasch und oft zu spät geurteilt zu haben.
Ackermann verteidigte die Ratingagenturen gegen Kritik. „Eigentlich kann man den Ratingagenturen keinen großen Vorwurf machen, wenn sie ihre Rechenmodelle jetzt konsequent durchziehen“, befand er. „Wenn die in ihren Modellen feststellen, dass ein Land ein Triple A-Rating nicht mehr verdient, dann können sie gar nichts anders tun, als ein Downgrade vorzunehmen.“ S&P hatte unter anderen Europas zweitgrößter Volkswirtschaft Frankreich die Bestnote „AAA“ entzogen. Danach wurde der Ruf nach einer europäischen Ratingagentur wieder lauter.