Gericht beendet Vormachtstellung des DGB
Beschluss: Die höchsten Arbeitsrichter lassen mehrere Tarifverträge in den Betrieben zu.
Erfurt. Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hat die Tarifeinheit gekippt und lässt mehr Konkurrenz unter Gewerkschaften zu. Die Entscheidung (10 AS 2/10 und 10 AS 3/10) ist von großer Tragweite. Wir erklären die wichtigsten Punkte.
Seit Mitte der 1950er Jahre war die Tarifeinheit ein Grundpfeiler bei der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte. "Ein Betrieb - ein Tarifvertrag" lautete das Prinzip.
Bei einigen Unternehmen wie bei der Lufthansa, der Deutschen Bahn oder in vielen Krankenhäusern gab es bereits vorher mehrere Tarifverträge. Künftig wird das nicht mehr die Ausnahme, sondern eventuell die Regel sein.
Am einfachsten lässt sich das an den Streiks der Lokomotivführer im Winter 2007/08 zeigen, wodurch Millionen Arbeitnehmer zu spät zur Arbeit kamen. Eine kleine Gewerkschaft (GDL) mit lediglich 34000 Mitgliedern konnte zeitweilig den gesamten Zugverkehr lahmlegen, weil sie das gesamte Fahrpersonal vertritt. Ihr Tarifvertrag galt trotzdem nur für Lokführer. Die große Gewerkschaft Transnet schloss niedriger ab.
Befürchtet werden mehr Konflikte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bis hin zu Streiks. Die großen DGB-Gewerkschaften, die bisher den Ton angeben und in letzter Zeit mit moderaten Forderungen auftraten, könnten demnächst von einer bunten Schar kleiner Gewerkschaften umgeben sein, die für einzelne Berufsgruppen Maximalforderungen stellen.
Die Arbeitgeberverbände sehen den "Betriebsfrieden" in Gefahr. Sie befürchten englische oder italienische Verhältnisse. In England gibt es für jeden Berufszweig eine eigene Gewerkschaft. In Italien muss Fiat beispielsweise mit fünf verschiedenen Gewerkschaften verhandeln. Bei uns reicht dafür die IG-Metall.
In seltener Einmütigkeit hatten sich vor der in dieser Form erwarteten Entscheidung der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) für eine gesetzliche Regelung starkgemacht, mit der die Tarifeinigung auch künftig gesichert werden soll. Bei überschneidenden Tarifverträgen sollte jener gelten, an den die meisten Arbeitnehmer gebunden sind.
Von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und anderen Spitzenpolitikern erhielten die beiden Dachverbände bereits positive Signale.