Große Koalition: Unternehmen fürchten Stillstand
Die Reaktionen der Wirtschaft auf den Koalitionsvertrag fallen harsch aus. Kanzlerin Merkel steht in der Kritik.
Berlin. Hat sich die „schwäbische Hausfrau“ von der SPD über den Tisch ziehen lassen?
So deutlich würde das öffentlich kein deutscher Manager behaupten. Doch was CDU-Chefin Angela Merkel — die in der Finanzkrise als sparsame, prinzipientreue Euro-Retterin auftrat - am Mittwoch nach dem Verhandlungsmarathon mit der SPD an Inhalten vorlegte, kam bei der Wirtschaft ziemlich schlecht an.
Schwarz-Rot habe da einen „gefährlichen Mix“ zusammengebraut, beschwerte sich DIHK-Präsident Eric Schweitzer.
Sein Kollege Ulrich Grillo vom Bund der Industrie (BDI) schimpfte, Union und SPD ließen die Wirtschaft mit ihren Problemen allein: „Der Koalitionsvertrag ist eine vertane Chance für Deutschlands Zukunft.“ Der Vertrag sei kein Masterplan für Deutschland, das Signal sei Stillstand statt Aufbruch.
Kein Mut zu Steuerreformen, kein großer Wurf bei der Energiewende, kaum Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. „Diese Vereinbarung stellt keine Weichen für mehr Wachstum und Beschäftigung, sondern unterzieht die deutsche Wirtschaft neuen Stresstests und gefährdet die Attraktivität des Industriestandortes Deutschland.“
Stattdessen teure Wohltaten mit SPD-Label bei Mindestlohn, Frauenquote, gleichem Lohn und Renten — mehr Staat, wo mehr Markt gefragt sei: „Der Trend zu mehr staatlicher Entscheidung statt unternehmerischer Freiheit setzt sich ungebremst fort“, sagt Grillo.
Der neue Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Ingo Kramer, erklärte, aus wirtschaftlicher Sicht sei nicht alles vernünftig, manches gehe aber in die richtige Richtung. Er begrüßte, „dass die neue Koalition ab 2015 keine neuen Schulden mehr machen will“ sowie die Entscheidung, auf zusätzliche Steuererhöhungen zu verzichten.
Der vorgesehene gesetzliche Mindestlohn ab 2015 werde „allerdings bedauerliche Bremsspuren auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen“, erklärte der Arbeitgeberpräsident. „8,50 Euro werden den Schwächsten am Arbeitsmarkt — jungen Menschen ohne Schulabschluss, Langzeitarbeitslosen und Geringqualifizierten — den Einstieg in Arbeit erschweren.“
Kramer begrüßte aber die im Koalitionsvertrag enthaltenen Aussagen zur Bewältigung des Fachkräftemangels und für die qualifizierte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, kritisierte jedoch die milliardenschweren Ausgaben im Bereich der Renten- und Pflegeversicherung als „erhebliche Belastung“ und „nicht zukunftsorientiert“.
„In der Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik macht die große Koalition die Reformerfolge der vergangenen Jahre zu großen Teilen wieder zunichte“, urteilte derweil der Krefelder Lutz Goebel vom Verband der Familienunternehmer bei „Spiegel Online“.
Ebenfalls dort erklärte der Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer: „Deutschland wird die Agenda-Reformen massiv zurückrollen.“ Langfristig würden sich damit die Rahmenbedingungen für die deutsche Wirtschaft verschlechtern.