Herbstgutachten: Aufschwung schafft Spielräume für Schwarz-Rot
Berlin (dpa) - Der Wirtschaftsaufschwung und wachsende Überschüsse in den Staatskassen eröffnen Union und SPD laut Herbstgutachten erhebliche finanzielle Spielräume.
Bis 2018 könnten Bund und Länder bis zu 33 Milliarden Euro etwa zum Schuldenabbau, für ein gerechteres Steuersystem und Investitionen in Straßen, Bildung und Forschung verwenden. „Dieser Betrag steckt den Spielraum ab, innerhalb dessen die Finanzpolitik agieren kann, ohne die Steuern zu erhöhen“, erklärten die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem am Donnerstag in Berlin vorgelegten Gutachten. Von einem gesetzlichen Mindestlohn und einem höheren Spitzensteuersatz halten sie nichts.
Die Ökonomen erwarten gute Jahre für die deutsche Wirtschaft. Diese befinde sich am Beginn eines kräftigen Aufschwungs, der mit Wachstumsraten von um die zwei Prozent lange anhalten könne. Die Auswirkungen des US-Haushaltsstreits auf die Weltkonjunktur seien überschaubar. Die Lage im Euro-Raum habe sich zwar gebessert, bleibe aber fragil. Die Europäische Zentralbank (EZB) habe mit ihrem Euro-Treueschwur der Wirtschaftspolitik eine „Atempause“ verschafft.
Für das laufende Jahr halbierten die Ökonomen zwar ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum von 0,8 auf 0,4 Prozent. Das liege am Konjunktureinbruch im vergangenen Winterhalbjahr, der trotz des starken zweiten Quartals nicht mehr vollständig aufgeholt werden könne.
Im nächsten Jahr soll das Bruttoinlandsprodukt (BIP) aber kräftig um 1,8 Prozent zulegen. Deutsche Unternehmen könnten dank anziehender Weltwirtschaft und vorerst eingedämmter Euro-Schuldenkrise in einem günstigen Klima Geschäfte machen. Dazu trägt im Inland die ungebremste Zuversicht der Verbraucher bei, während die Perspektiven für die Exporteure eher verhalten ausfallen.
„Eine steigende Beschäftigung und merkliche Lohnzuwächse sorgen bereits seit längerem für eine robuste Entwicklung des privaten Verbrauchs“, schreiben die Experten. Diese positive Entwicklung für Arbeitnehmer und ihre Familien dürfte 2013 und 2014 anhalten, zumal die Teuerung mit 1,6 Prozent in diesem und 1,9 Prozent im kommenden Jahr moderat bleibt.
Die gute Wirtschaftslage sorgt weiter für neue Jobs. So soll die Zahl der Erwerbstätigen in diesem Jahr im Schnitt um 235 000 und im Folgejahr um 260 000 zunehmen. Die Arbeitslosenquote sinke aber wegen mehr Zuwanderung nur leicht von 6,9 Prozent auf 6,8 Prozent in 2014.
Der von der SPD als Preis von der Union für eine große Koalition geforderte gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde würde nach Einschätzung der Institute viele Jobs vernichten, besonders in Ostdeutschland. Im Osten verdiene rund ein Viertel der Arbeitnehmer weniger. Sollte die Politik dennoch daran festhalten, „würden wir dringend raten, diesen Mindestlohn so niedrig wie möglich anzusetzen“, sagte Ferdinand Fichtner vom Berliner DIW.
Der Staat wird wie bekannt in den nächsten Jahren steigende Überschüsse erwirtschaften können. Diese könnten bis 2018 auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen. Daraus ergibt sich für die Politik ein Handlungsfeld von knapp 33 Milliarden Euro. „Zusätzliche Spielräume ließen sich gewinnen, wenn Steuervergünstigungen abgebaut würden“, heißt es im Herbstgutachten mit dem Titel „Konjunktur zieht an - Haushaltsüberschüsse sinnvoll nutzen“.
Die Ökonomen empfehlen der künftigen Bundesregierung, die „kalte Progression“ - der Staat kassiert heimlich bei Lohnerhöhungen ab - zu mildern. Roland Döhrn vom Essener Forschungsinstitut RWI warnte davor, auf den bestehenden, teils ungerechten Steuertarif „noch einen höheren Spitzensteuersatz draufzuknallen“. Die diskutierte Anhebung von 45 auf 49 Prozent würde nicht nur wenige Reiche, sondern auch Mittelschicht und Wirtschaft belasten.