HSH-Urteil: Freispruch für Ex-Vorstand Nonnenmacher und Co.
Hamburg (dpa) - Überraschendes Urteil im HSH-Nordbank-Prozess: Der komplette frühere Vorstand samt Ex-Finanzchef Dirk Jens Nonnenmacher ist freigesprochen worden.
Nach Ansicht der 8. Großen Strafkammer des Hamburger Landgerichts sind die sechs Manager weder der schweren Untreue noch der Bilanzfälschung schuldig, wie der Vorsitzende Richter Marc Tully sagte.
Fehlentscheidungen der Angeklagten hätten nicht die „Grauzone in Richtung Strafbarkeit“ überschritten. Für das Gericht stand daher fest: „Im Zweifel für die Freiheit“. Im Zentrum des knapp ein Jahr dauernden Prozesses stand die Frage, wo unternehmerische Freiheit aufhört und wo Wirtschaftskriminalität beginnt.
Erstmals in Deutschland musste sich der gesamte einstige Vorstand einer Bank wegen ihres Handelns während der Finanzkrise vor Gericht verantworten. Die Manager hatten die Vorwürfe rund um das komplexe Kreditgeschäft „Omega 55“ stets zurückgewiesen. Alle sechs waren wegen schwerer Untreue angeklagt, zwei von ihnen - darunter Nonnenmacher - zudem wegen Bilanzfälschung.
In der Finanzkrise galt Nonnenmacher - Spitzname „Dr. No“ - als einer der umstrittensten Banker Deutschlands. „Es hat zu keinem Zeitpunkt der Verdacht bestanden, dass sich die Angeklagten gangstergleich oder bankstergleich - wie man so sagt - zu ihrem eigenen unmittelbaren Vorteil am Vermögen der HSH Nordbank vergriffen hätten“, betonte Tully in seiner Urteilsbegründung.
Die HSH Nordbank will trotz der Freisprüche weiter Schadenersatz von drei Ex-Vorstandsmitgliedern erstreiten. „Die zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche der Bank sind von dem (...) Urteil unberührt“, teilte die Bank mit.
Eine Anwaltskanzlei habe den Sachverhalt bereits 2009 geprüft und damals Pflichtverletzungen von drei Vorständen im Zusammenhang mit „Omega 55“ festgestellt. Gegen sie habe die HSH Nordbank schon vor Beginn des Strafverfahrens zivilrechtliche Schiedsverfahren eingeleitet. Mit den anderen drei Vorständen - darunter Nonnenmacher - habe die Bank vor Prozessbeginn einen sogenannten Verjährungsverzicht vereinbart.
Die Staatsanwaltschaft will nun prüfen, ob sie in Revision geht und der Fall dann beim Bundesgerichtshof landet. Dafür hat die Behörde eine Woche Zeit. Nach ihrer Ansicht waren die Manager kurz vor Weihnachten 2007 bei dem komplexen „Omega 55“-Geschäft wissentlich zu hohe Risiken eingegangen.
Die sechs Vorstände hätten zwar bei dem Geschäft ihre Pflichten verletzt, sagte auch Tully. Diese Pflichtverletzungen seien aber nicht so gravierend gewesen, dass sie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Verurteilung wegen Untreue rechtfertigten.
Mit dem riskanten Doppelgeschäft mit der Pariser Großbank BNP Paribas wollte die HSH Nordbank ihre Bilanz 2007 entlasten. Ihr drohte damals eine Herabstufung durch die Rating-Agenturen. Eine solche Entlastung habe es aber nicht gegeben, betonte Tully: „Dadurch wird das ganze Geschäft objektiv sinnlos.“
Der Vorsitzende Richter kritisierte, die Angeklagten hätten die Kreditvorlage dennoch hartnäckig als „makellos“ und „über jeden Zweifel erhaben“ verteidigt. „Beides ist evident nicht der Fall.“ Dem Rechtsfrieden hätte größere Demut eher gedient. Der Prozess sei ein „hochstreitiges Verfahren“ gewesen: „Das kostet Zeit, Geld und Nerven.“ Die Kosten für den Prozess trägt nun die Staatskasse.
Nonnenmacher reagierte erleichterte auf das Urteil, wie sein Verteidiger Prof. Heinz Wagner erklärte. Er hoffe, dass die Staatsanwaltschaft so klug sei, nicht in Revision zu gehen. Nach Ansicht des Verteidigers Otmar Kury - er vertritt den früheren Kapitalmarktvorstand Jochen Friedrich - stärkt das Urteil den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Tully betonte, die Angeklagten seien zwar für den hohen Schaden von etwa 150 Millionen Euro nach der Auflösung des Geschäfts im Jahr 2010 verantwortlich. Der Schaden beruhe aber vor allem auf der „besonders schwerwiegenden Entwicklung der sogenannten Finanzkrise“ in den Jahren 2008 bis 2010. Dies hätten die Manager bei der Entscheidung über „Omega 55“ aber nicht absehen können.
Die HSH Nordbank habe langfristig zu den „Top Ten“ aufsteigen wollen, erklärte der Vorsitzende Richter. „Retrospektiv war dieser Plan Ausfluss nicht unerheblicher Selbstüberschätzung“ - auch der Eigentümer, der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein. In der Finanzkrise geriet auch die HSH Nordbank ins Taumeln und musste von den Ländern mit milliardenstarker Kapitalspritze gerettet werden.
Dass es schwierig sein würde, mögliche Verfehlungen der Banker strafrechtlich zu erfassen, hatte Tully schon beim Prozessauftakt vor knapp einem Jahr deutlich gemacht. „Die Strafkammer betritt Neuland“, hatte er damals erklärt. Die Staatsanwaltschaft hatte für die sechs Angeklagten Bewährungsstrafen und Geldbußen verlangt. Die Verteidiger hatten allesamt Freisprüche gefordert.