Umwelt Hunderte Öl-Lobbyisten auf Klimakonferenz - Gas-Überversorgung droht

Umweltschützer stellen sich die Frage, warum Öl-Unternehmen auf der Klimakonferenz sind. Trotz Erderhitzung wollen die allermeisten Öl- und Gasunternehmen ihre Produktion ausbauen.

Die disjährige Klimakonferenz findet im ägyptischen Badeort Scharm el Scheich statt.

Foto: dpa/Gehad Hamdy

In der vom Ukraine-Krieg angeheizten Energiekrise setzen viele Staaten eilig auf mehr klimaschädliches Flüssiggas - schieben dabei aber deutlich mehr Produktion an als benötigt. Diese Überversorgung könne schon 2030 auf das Fünffache der Gasmenge anschwellen, die die gesamte EU 2021 aus Russland importiert habe, heißt es in einer Analyse des Climate Action Tracker, die am Donnerstag auf der UN-Klimakonferenz in Scharm el Scheich vorgestellt wurde. Ein weiterer Datenreport legte offen, dass trotz der alarmierenden Erderhitzung die allermeisten Öl- und Gasunternehmen ihre Produktion ausbauen wollen.

Empört reagierten Umweltschützer auch auf einen Bericht, dass bei dem Mammuttreffen 636 Lobbyisten für Öl, Gas und Kohle registriert sind - 25 Prozent mehr als vergangenes Jahr in Schottland. Die Umweltorganisation Global Witness und das Corporate Europe Observatory rechneten vor, dass die fossile Industrie mit Lobbyisten stärker in Ägypten vertreten ist als die zehn am meisten von der drohenden Klimakatastrophe betroffenen Staaten. Dem Report zufolge haben insgesamt 29 der etwa 200 vertretenen Staaten Öl-, Gas- oder Kohle-Lobbyisten in ihren Delegationen.

Die bei der Verbrennung von Gas, Öl und Kohle freigesetzten Treibhausgase wie CO2 sind der Hauptgrund für die Erderhitzung und ihre fatalen Folgen, also immer mehr Dürren, Hitzewellen, Wirbelstürme, Überschwemmungen und den Meeresspiegelanstieg. Ein Sprecher für die Organisationen nannte die außergewöhnliche Präsenz dieser Industrie-Lobbyisten einen schlechten Witz. „Tabaklobbyisten wären schließlich auch nicht bei Gesundheitskonferenzen willkommen, und Waffenhändler nicht bei Friedenskonferenzen.“

Als Zeichen der Solidarität mit politischen Gefangenen in Ägypten und weltweit kamen am fünften Tag der COP27 etliche Teilnehmer in weißer Kleidung auf das Tagungsgelände. Das sei die Farbe, die „Zehntausende unrechtmäßig Inhaftierte“ im Gastgeberland trügen, teilte das Bündnis COP Civic Space mit, ein Zusammenschluss von Menschenrechtsorganisationen. Einige knebelten sich mit weißen Stoffbändern - aus Solidarität mit Menschen, die zum Schweigen gebracht wurden. Eine Rednerin sagte: „Es fehlen Tausende Aktivisten, die hier sein sollten.“ In Ägypten sind die Meinungs- und Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt.

Im Fall des inhaftierten Demokratieaktivisten Alaa Abdel Fattah, der in Ägypten mit Verzicht auf Essen und Wasser gegen seine Haftbedingungen protestiert, hat die Gefängnisaufsicht nach Worten seiner Familie „medizinisch interveniert“. Die Justizbehörden seien über den Schritt informiert worden, teilte die Familie mit. Ob der Eingriff eine Form von Zwangsernährung bedeutet, etwa intravenös, blieb unklar. Abdel Fattah, der zu den Führungsfiguren in der Revolution von 2011 zählte, verzichtet seit Monaten auf Essen und seit Sonntagmorgen auch auf Wasser - zeitgleich mit Beginn der Weltklimakonferenz im Land. Den Fall sprachen auch Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Rishi Sunak an.

Etwa 96 Prozent der knapp 700 erfassten relevanten Öl- und Gasfirmen in der öffentlichen Datenbank „Global Oil & Gas Exit List“ (GOGEL) wollen ihre Produktion trotz Klimakrise ausweiten, wie die Naturschutzorganisation Urgewald und weitere 50 NGO-Partner mitteilten. Seit dem letzten Daten-Update 2021 nahmen demnach die kurzfristigen Expansionspläne der Branche um 20 Prozent zu.

Weiter hieß es, derzeit unternähmen 512 Öl- und Gasunternehmen aktive Schritte, um 230 Milliarden Barrel Öl-Äquivalent an bislang unerschlossenen Ressourcen in die Produktion zu bringen - und das innerhalb der nächsten ein bis sieben Jahre. Die Förderung und Verbrennung werde etwa 30 Mal so viel Treibhausgase freisetzen wie die jährlichen Emissionen der EU.

Wissenschaftler warnten überdies, dass in gut 25 Jahren wahrscheinlich bereits drei Milliarden Menschen in Weltregionen leben, die als verletzliche Hotspots der Erderhitzung eingestuft sind. Dies wären etwa doppelt so viele wie jetzt schon. Die Regionen liegen überwiegend in Mittelamerika, im Nahen Osten, Teilen Asiens sowie in Zentralafrika, Ostafrika und der Sahel-Region.

In den verletzlichsten Staaten liege die Sterblichkeit etwa 15 Mal höher als in den am wenigsten von der Erderhitzung betroffenen Regionen - etwa wegen häufigerer Überschwemmungen, Dürren und Stürmen, hieß es. Dies alles führe auch zu mehr erzwungener Migration, Millionen Menschen würden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wegen der Erderhitzung vertrieben. An dem Bericht „Zehn neue Einsichten der Klimawissenschaft 2022“ hat auch das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung mitgewirkt. UN-Klimachef Simon Stiell nannte die Ergebnisse „alarmierend“.

(dpa)