In Osteuropa kaum Interesse an Jobs in Deutschland
Nürnberg/Chemnitz (dpa) - Die Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Menschen aus Osteuropa hat nicht zu dem befürchteten Ansturm von Jobsuchern aus Polen oder dem Baltikum geführt. Im Mai hätten sich lediglich 10 000 Beschäftigte aus den acht EU-Beitrittsländern um eine Stelle in Deutschland bemüht.
Dies seien nur rund 4500 mehr als vor dem Start der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit, berichtete das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) am Mittwoch unter Berufung auf Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Über die Entwicklung berichtete am Mittwoch auch die „Freie Presse“ Chemnitz.
Der IAB-Migrationsexperte Professor Herbert Brücker zeigte sich von der bislang geringen Zuwanderung aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, der Slowakischen Republik, Slowenien, der Tschechischen Republik und Ungarn überrascht: „Das sind sehr niedrige Zahlen. Es sieht derzeit nicht so aus, dass die Fachkräftelücke in Deutschland mit Menschen aus Osteuropa geschlossen werden kann“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Sollte sich der Zustrom in den kommenden Monaten auf dem gleichen Niveau bewegen, rechnet Brücker allenfalls mit 80 000 bis 100 000 Zuwandern aus Osteuropa. Für eine abschließende Bewertung sei es derzeit aber noch zu früh.
Das größte Interesse an einem Arbeitsplatz in Deutschland zeigen derzeit polnische Jobsucher; sie stellten nach der Statistik des Migrations-Bundesamtes im Mai mit 6836 Zuwanderern die mit Abstand größte Gruppe dar; allerdings hatte die Zahl der Zuwanderer bereits vor der Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes monatlich schon bei bis zu 4000 gelegen, geht aus der in der Vorwoche veröffentlichten Statistik hervor. Zweitstärkste Zuwanderergruppe sind Ungarn mit knapp 900 Zuwanderern, gefolgt von Arbeitskräften aus der Slowakischen Republik mit 266 Zuwandern im Mai.
Ursache für den bislang verhaltenen Zuzug aus Osteuropa ist nach Einschätzung des IAB-Arbeitsmarktforschers Timo Baas die späte Öffnung Deutschlands für Fachkräfte aus den EU-Beitrittsländern im Osten. Großbritannien, Irland und Schweden hätten schon im Jahr 2004 Zuwanderung aus Osteuropa und dem Baltikum zugelassen. Damals habe die Politik eine große Chance vertan, dem Fachkräftemangel entgegenzutreten. „Der Wahlkampf spielte eine Rolle und die Tatsache, dass Deutschland rund fünf Millionen Arbeitslose hatte“, zitiert die „Freie Presse“ Chemnitz Baas. Wirtschaftsverbände hatten wegen des drohenden Fachkräftemagels auf eine stärkere Zuwanderung aus Osteuropa gehofft.
Die Einschätzung der Arbeits- und Migrationsforscher deckt sich weitgehend mit den Erfahrungen von Arbeitsagenturen an der deutsch-polnischen Grenze. Nach der Öffnung im Mai sei jetzt klar, dass die Befürchtungen, polnische Arbeitnehmer würden massenweise zu Dumpinglöhnen nach Deutschland kommen, haltlos waren, stellt etwa der Leiter der Agentur für Arbeit in Stettin, Andrzej Przewoda in einer ersten Zwischenbilanz fest. Das komme nicht überraschend, schließlich suchten auch Firmen jenseits der Grenze nach Arbeitskräften - etwa der Geschäftsführer eines Luxusbootsbauers im größten Industriegebiet der polnischen Region in Goleniow nördlich Stettins.
Dennoch kommt in den Arbeits- und Ausbildungsmarkt an der deutsch-polnischen Grenze nach der Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Menschen aus Osteuropa inzwischen Bewegung. So beginnen im Herbst die ersten polnischen Lehrlinge ihre Ausbildung in Firmen in Vorpommern, wie beispielsweise in der Gießerei und bei der Mele-Gruppe in Torgelow (Kreis Uecker-Randow). „Die Jugendlichen absolvieren derzeit Deutschkurse“, sagte Christian Justa, Leiter der Pasewalker Agenturgeschäftsstelle, am Mittwoch. Zugleich wurden am Mittwoch erstmals gleich vier polnische Metallbauer an eine Firma in Altentreptow (Kreis Demmin) vermittelt.