Insolvenz: Hertie-Mitarbeiter zittern um Jobs
Viele hoffen auf einen neuen Investor. Doch die Zukunft ist ungewiss.
Essen. Die Verkäuferin läuft mit leerem Gesicht an den Kunden vorbei zum Ausgang und schüttelt nur den Kopf. "Jetzt werden wir alle arbeitslos, wollen Sie uns nicht kaufen?", sagt eine Kollegin in der Essener Hertie-Filiale mit bitterem Unterton. Mit Entsetzen, Wut und Sarkasmus haben die Mitarbeiter der Warenhauskette am Donnerstag auf die in dieser Härte doch überraschende Nachricht von dem Insolvenzantrag reagiert.
Viele der Frauen sind über 50 Jahre alt und sehen wenig Chancen auf einen neuen Job, falls sie arbeitslos werden. Schon der Verkauf der ehemaligen Karstadt-Kompakt-Häuser vor knapp drei Jahren an britische Investoren, von denen vorher kaum jemand je gehört hatte, war für altgediente Mitarbeiter ein Schock.
Sie fühlten sich damals und fühlen sich heute immer noch als "Karstädter", wie eine Verkäuferin sagt. Jetzt müssen sie unter dem neuen Label Hertie schon wieder bangen.
Das Konzept, aus den vom damaligen Karstadt-Quelle-Konzern abgestoßenen Vorort- und Mittelstadtimmobilien gut erreichbare "Nachbarschaftskaufhäuser" für den schnellen und günstigen Einkauf zu machen, hat in den ersten Jahren gewaltige Verluste von geschätzten 170 Millionen Euro produziert.
Nach Informationen aus Finanzkreisen trägt der Londoner Haupteigentümer Dawnay Day daran eine erhebliche Mitschuld. Er trennte schnell nach dem Kauf Warenhausgesellschaft und Immobilien und soll durch deutlich überhöhte Mietforderungen an die Warenhäuser Geld aus dem Unternehmen gezogen haben.
Auch die noch Anfang 2007 versprochenen Investitionen von 55 Millionen Euro in die teils dringend sanierungsbedürftigen Häuser sollen nach Branchenberichten nicht annähernd geflossen sein.
Genaue Informationen zu alldem gab es nie. Auch Geschäftszahlen kommunizierte das Unternehmen nur einmal zum Start - und dann nicht mehr wieder. Offenbar wusste auch die deutsche Geschäftsführung über die Entscheidungen in London nicht immer Bescheid:
In diesem Jahr warfen innerhalb weniger Monate zwei Hertie-Spitzenmanager frustriert das Handtuch. Dem verschwiegenen Investor werfen Kritiker das Geschäftsgebaren einer "Heuschrecke" vor. Dass er sich jetzt selbst in den USA verhoben hat und mit Teilen seines verzweigten Imperiums Insolvenz anmelden musste, wird die Beschäftigten wenig trösten.
Dabei ist das Konzept des gut erreichbaren Kaufhauses in mittelgroßen Städten nach Meinung von Fachleuten durchaus tragfähig, wie wichtige Lieferanten dem Unternehmen am Tag der Krise erneut bescheinigten - notwendige Investitionen und maßvolle Hausmieten vorausgesetzt. Wenn die Benzinpreise durch die Decke gehen, kaufen eben immer mehr Menschen gern vor der Haustür.
Völlig schwarz dürfte die Zukunft der Handelskette deshalb trotz schlechter Handelskonjunktur nicht aussehen. Die Verkäuferinnen müssen sich aber in den nächsten Monaten auf unangenehme Besuche von Unternehmensberatern einstellen, die "die Rentabilität der einzelnen Standorte einer genauen Analyse unterziehen", wie es in der offiziellen Pressemitteilung hieß.
Experten erwarten, dass die weniger lukrativen Häuser abgestoßen werden und der Insolvenzverwalter danach neue Investoren sucht. Dann könnte es für den gesunden Kern von Hertie durchaus weitergehen - für die Essener Verkäuferinnen wäre das der dritte Neustart in wenigen Jahren.