Kein Pardon für Milliarden-Zocker
FRankreich Ex-Börsenhändler Jérôme Kerviel wurde zu fünf Jahren Haft und 4,9Milliarden Schadenersatz verurteilt.
Paris. Erhobenen Hauptes durchschreitet Jérôme Kerviel (33) an diesem Dienstagmorgen um kurz vor zehn das imposante Säulenportal des ehrwürdigen Pariser Justizpalastes. Der ehemalige Börsenhändler der Großbank "Société Générale" hofft immer noch, sich mit einem Freispruch aus der Affäre ziehen zu können.
Doch der Prozess um fast fünf verzockte Milliarden endet mit einem Paukenschlag: Das Strafgericht verurteilt Kerviel nicht nur zu fünf Jahren Gefängnis, davon drei hinter Gittern, der 33-Jährige muss seinem früheren Arbeitgeber eine astronomisch hohe Entschädigung zahlen; die höchste der französischen Justizgeschichte: 4.915.610.154 Euro. Ein Betrag, der exakt jenem gigantischen Schaden entspricht, den Jérôme Kerviel vor zwei Jahren durch abenteuerliche Spekulationsgeschäfte angerichtet hat. Ein Betrag, der selbst die zweitgrößte Bank Frankreichs ins Wanken brachte und um ein Haar in den Bankrott trieb.
Um diese Schuld auf Heller und Pfennig abzutragen, benötigt Kerviel, der zurzeit als Computerfachmann 2300Euro verdient, etwas mehr als eine kleine Ewigkeit: nämlich fast 178000 Jahre. Er trägt einen schwarzen Anzug, weißes Hemd und schwarze Krawatte. Eine Stunde lang dauert die Verlesung des Urteils, die er ohne Regung verfolgt. Die Richter unter Vorsitz von Dominique Pauthe sehen in dem früheren Investmentbanker einen Einzeltäter und sprechen ihn in allen Punkten schuldig: Vertrauensmissbrauch, Fälschung und betrügerische Manipulation von Computerdaten.
Ein Urteil, das die Verteidigung um den renommierten Strafverteidiger Olivier Metzner als eine schallende Ohrfeige empfinden muss. Denn diese hatte dem Gericht in dem drei Monate langen Prozess eine gänzlich andere Version von den Machenschaften des Angeklagten aufgetischt. Dass der ehrgeizige Karriere-Banker in Spitzenzeiten mit atemberaubenden 50 Milliarden Euro jonglierte, Scheinpositionen aufbaute und am Ende 4,9 Milliarden Euro in den Sand gesetzt hat, wurde niemals bestritten.
Wohl aber, dass Kerviel dabei als skrupelloser Einzeltäter fungierte. Dieser beteuerte stets, dass Vorgesetzte und Kollegen von seinen Geschäften sehr wohl gewusst und durch üppige Bonuszahlungen aus seinen satten Gewinnen obendrein sogar profitiert hätten. "Jérôme Kerviel bezahlt nun für ein System", attackiert sein Anwalt nach dem Richterspruch die Justiz - und kündigt an, in die Berufung zu gehen. Und abermals weist "Maître" Metzner darauf hin, dass sich sein Mandant nie persönlich bereichert habe: "Das Gefängnis ist nicht gerechtfertigt für einen Mann, der nicht einen einzigen Euro verdient hat."
Die 11.Strafkammer sieht es hingegen als erwiesen an, dass Kerviel stets im Verborgenen mit den Milliarden jongliert und wissentlich "die Kontrollen umgangen hat".
Vergeblich hatte das Gericht versucht, die Psyche des Angeklagten zu ergründen. Wer Jérôme Kerviel in Wirklichkeit ist, bleibt auch nach diesem Prozess ein Rätsel. "Er hat sich berauschen lassen vom Erfolg in einer virtuellen Welt", sagt der Vorsitzende Richter Dominique Pauthe, und fügt eine karge Charakterskizze hinzu. Kerviel sei "permanent kaltblütig", "zynisch" und lege "eine trügerische Gelassenheit" an den Tag.
Auch die Staatsanwaltschaft hatte in dem Prozess kein gutes Haar an dem Mann aus der Bretagne gelassen. Für sie ist er ein "Lügner", "Manipulierer" und "Betrüger". In seinem Heimatstädtchen Pont L’Abbé hingegen, wo sie demonstrativ ein Kerviel-Unterstützer-Komitee gegründet haben, fühlt man sich, so ihr Vorsitzender René Coupa, durch das harte Urteil "angewidert".