Krise: Thyssen-Krupp sucht den Befreiungsschlag
Der Industriekonzern braucht dringend Geld. Als mögliche Retterin in der Not wird die RAG-Stiftung heiß gehandelt.
Essen. Unruhige Zeiten beim hoch verschuldeten Industriekonzern Thyssen-Krupp: Der künftige Kurs des Essener Traditionsunternehmens erscheint ungewisser denn je. Der größte deutsche Stahlhersteller braucht dringend Geld — wie viel ist ungewiss.
Alles hängt vom geplanten Verkauf der Stahlwerke in Brasilien und den USA ab. Außerdem braucht das Unternehmen einen Durchbruch bei der Abwicklung der zahlreichen Kartellfälle. Je länger Lösungen auf sich warten lassen, desto mehr steigt der Druck auch auf Vorstandschef Heinrich Hiesinger. Die Zeit drängt.
Das Eigenkapital ist zuletzt stark geschrumpft — auf nur noch 9,5 Prozent Ende März. „Das ist der mit Abstand niedrigste Wert unter den Unternehmen, die im Dax vertreten sind“, schrieb Hiesinger den Mitarbeitern. Besonders bedrohlich: Das Verhältnis der Nettofinanzschulden zum Eigenkapital liegt nahe an der Marke von 150 Prozent, ab der Banken einige milliardenschwere Kreditverträge kündigen können.
Thyssen-Krupp-Sprecher verweisen darauf, dass bei einem Überschreiten die Kündigung kein Automatismus sei. Eine Kapitalerhöhung könnte helfen, die Löcher zu stopfen. Thyssen-Krupp schließt einen solchen Schritt nicht mehr aus.
Doch dabei könnte die klamme Krupp-Stiftung um den 99 Jahre alten Stiftungschef Berthold Beitz als Haupteigentümerin nicht mitziehen. Sie hält mit 25,3 Prozent der Anteile bislang eine Sperrminorität, die den Konzern vor Übernahmen schützt. Sollte diese Hürde wegfallen, befürchten viele, dass Hedgefonds den Traditionskonzern in seine Einzelteile zerlegen könnten. Als Retterin in der Not wird die RAG-Stiftung gehandelt. Die Stiftung war 2007 vom Bund und dem Land NRW gegründet worden. Derzeit ist die Kasse nach dem Börsengang der Chemie-Tochter Evonik prall gefüllt.
Zwar versichern alle Seiten, dass es keine Gespräche zu diesem Thema gegeben habe. Allerdings zeigte Stiftungschef Werner Müller bei einem Besuch der Düsseldorfer SPD-Fraktion in dieser Woche keine Berührungsängste. Ein solches Engagement sei mit der Satzung der Stiftung durchaus vereinbar, ließ er die besorgten Landespolitiker wissen.
Die Spekulationen rund ums Thema reichen von einer Beteiligung bis zu einer Geldspritze per Darlehen. Thyssen-Krupp dementiert heftig, dass an einer Blitzaktion für ein kleine Kapitalerhöhung gearbeitet wird. Vor diesem Hintergrund wird in Finanzkreisen spekuliert, wie Thyssen-Krupp alternativ an Geld kommen könnte.
Besonders beliebt ist die Diskussion über einen Teilverkauf der europäischen Stahlaktivitäten — eine Horrorvision für viele Beschäftigte im Ruhrgebiet und bislang ein Tabu für Hiesinger. Zudem wird das Gerücht gehandelt, dass Hiesinger sich von einer der Ertragsperlen im Technologiegeschäft trennen könnte. Beim Konzern werden diese Überlegungen zurückgewiesen.
Zunächst muss der Verkauf der Übersee-Stahlwerke gelingen.