Menschenrechte und Umweltschutz: Wird es ein „Lieferkettengesetz mit Zähnen“?

Berlin · Unternehmen sollen von 2023 an für Verstöße gegen Menschenrechte und Umweltstandards bei Zulieferern gerade stehen. Zwei Minister strahlen, ein dritter muss es der Wirtschaft verkaufen.

Mit dem Lieferkettengesetz sollen Unternehmen Standards einhalten.

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Bußgelder und ein Klageweg für Hilfsorganisationen: Mit einem Gesetz will die Bundesregierung größere deutsche Unternehmen von 2023 weltweit zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltvorgaben in ihren Lieferketten zwingen. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sprach am Freitag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) von einem „historischen Durchbruch“. Ein Referentenentwurf der Ministerien soll Mitte März vom Kabinett verabschiedet und noch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden.

Die Firmen sollen demnach ihre gesamte Lieferkette im Blick haben, aber abgestuft verantwortlich sein. Wird einer Firma ein Missstand in der Lieferkette bekannt, soll sie verpflichtet werden, für Abhilfe zu sorgen. Eine Behörde überwacht dies. Zudem sollen Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften künftig die Möglichkeit bekommen, Betroffene vor deutschen Gericht zu vertreten, wenn es Verstöße gegen Standards in Lieferketten gibt und der Betroffene zustimmt. Das ist neu: Bisher konnten Geschädigte selbst klagen, was aber in der Praxis an den Lebensumständen scheiterte.

Heil sprach von harten Verhandlungen. „Es geht um die Einhaltung von Menschenrechten in globalen Lieferketten und damit menschenwürdige Arbeit.“ Das Gesetz sei ein Signal an jene Firmen, die bisher Menschenrechte gegen ihre wirtschaftlichen Interessen abgewogen haben.

„Es gibt kein Gesetz auf der Welt und in Europa, das so ambitioniert ist wie das deutsche Lieferkettengesetz“, sagte Heil. Die zuständigen Behörden bekäme ein „robustes Mandat“ und könne vor Ort Kontrollen vornehmen und mit Zangs- und Bußgeldern Strafen verhängen. „Wir reden hier nicht von Knöllchen, sondern von dem, was angemessen ist“, sagte er. Unternehmen, gegen die ein hohes Bußgeld verhängt wurde, könnten bis zu drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden. „Das Lieferkettengesetz ist ein Gesetz mit Zähnen.“

Entwicklungsminister Müller, der wie Heil zu den Antreibern des Vorhabens zählt, erwartet Wirkung über Deutschland hinaus. Dabei könne es in der Folge auch um Hungerlöhne. „Also ein Euro oder ein Dollar am Tag für zwölf Stunden ist sicher zu wenig. Das ist die Fortschreibung der Kolonialzeit in anderen Umständen. Ich hab mir das angeschaut“, sagte Müller. Es erwarte Diskussionen über den Zusammenhang zwischen Produktionsverhältnissen und dem Preisniveau in Deutschland. „Was ist menschenwürdig? Und deshalb sage ich, es wird eine große Debatte geben: Über die Umsetzung des Rechtstextes hinaus das Thema Globalisierung gerecht zu gestalten.“

Altmaier hatte vor zusätzlichen Belastungen für die deutsche Wirtschaft gewarnt. Er sprach nun von einem vernünftigen Kompromiss. Eine zivile Haftung für Firmen gebe es nicht. Dies hatten Wirtschaftsverbände befürchtet und vor Wettbewerbsnachteilen auf internationalen Märkten gewarnt. „Natürlich ist es mir als Wirtschaftsminister auch wichtig, dass die deutsche Wirtschaft am Ende stärker und nicht schwächer dasteht“, sagte Altmaier. Auch müsse verhindert werden, dass sich deutsche Unternehmen aus der Produktion in einigen Staaten zurückziehen, weil sie Sanktionen fürchten. Konkretes Beispiel der Minister war Kinderarbeit in indischen Steinbrüchen, in denen Grabsteine hergestellt werden.

Damit sich deutsche Firmen auf die neuen Vorgaben einstellen können, soll das Gesetz vom 1. Januar 2023 an gelten, und zwar für Firmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern - von Anfang 2024 an dann auch für Unternehmen mit über 1000 Mitarbeitern. Altmaier betonte, damit fielen mittelständische Unternehmen nicht unter den Anwendungsbereich des Gesetzes.

Auf den ersten Blick sei die regierungsinterne Einigung zum Lieferkettengesetz ein deutlicher Fortschritt im Vergleich zu den bisherigen, weltfremden Vorstellungen aus dem Arbeits- und Entwicklungsministerium, erklärte Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander. „Damit ist die Grenze des Machbaren für die Unternehmen aber absolut erreicht, vielleicht auch teilweise überschritten.“

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sah nun viele Unternehmen vor großen Herausforderungen. Die Achtung von Menschenrechten sei „selbstverständlich“, verbindliche Sorgfaltspflichten gingen aber klar über existierende Berichtspflichten hinaus. „Mit dem Verzicht auf eine zivilrechtliche Haftung jenseits der existierenden Haftungsregeln vermeidet die Bundesregierung einen Konstruktionsfehler und setzt dennoch wichtige Akzente im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen“, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm.

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger erklärte, ein Gesetz zur Regulierung der menschenrechtlichen Verantwortung sei überflüssig, weil deutsche Firmen schon jetzt für höhere Standards im Ausland sorgten. Das Gesetz müsse nun praktikabel und für die tägliche Praxis umsetzbar sein. „Wir erwarten deshalb, Sorgfaltsanforderungen auf Menschenrechtsfragen und direkte überprüfbare Zulieferer zu begrenzen“, so Dulger.

Der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie, Uwe Mazura, kündigte an, die Beratungen im Bundestag würden mit großer Aufmerksamkeit verfolgt und kritisch begleitet. „Bemerkenswert ist, wie viele Kapazitäten die Bundesregierung für ein neues Gesetz hat, während unsere Unternehmen seit Monaten auf Corona-Hilfen warten und ihre werthaltige Mode in den geschlossenen Geschäften nicht verkauft werden kann“, teilte er mit. Dagegen sprachen Umweltverbände in einer gemeinsamen Erklärung von einem „Minimalkonsens“, der für deutsche Firmen nur wenig ändere.

(dpa)