Nach hundert Jahren Wachstum: Luftfracht vor Turbulenzen
Frankfurt/Main (dpa) - Die isländische Aschewolke hat der Industriegesellschaft im April 2010 deutlich vor Augen geführt, wie abhängig sie von einer reibungslosen Logistik über den Wolken ist.
Bei BMW und Opel standen nach wenigen Tagen die Bänder still - wie auch in Korea die Handyherstellung stockte. Auf knapp fünf Milliarden Euro schätzte ein Airbus-Studie den wirtschaftlichen Schaden, rund 50 000 Tonnen Fracht blieben zunächst liegen.
Die Luftfracht hat sich nach 100 Jahren in der globalisierten Welt längst unverzichtbar gemacht. Geflogen wird, was entweder besonders eilig oder besonders wertvoll ist: Das gilt für Rennpferde und Elektronikteile, für Auto-Oldtimer, menschliche Organe und Maschinenteile wie auch für Schnittblumen oder frischen Fisch.
Auch Zeitungen finden sich im Internet-Zeitalter noch immer an Bord der Jets. Sie waren in Deutschland das erste Luftfrachtgut: Vor genau 100 Jahren, am 19. August 1911, ließ die „Berliner Morgenpost“ einige Ausgaben ins nahe Frankfurt an der Oder fliegen. In den folgenden Jahren setzte der neue Transportweg zum Aufschwung an. Ein Quantensprung gelang nach dem Zweiten Weltkrieg, als Amerikaner und Briten mit ihrer „Luftbrücke“ mehr als zwei Millionen Menschen in dem von den Russen abgeriegelten West-Berlin versorgten.
Ausgehend vom riesigen US-Markt, wo 1910 der weltweit erste Frachtflug mit einigen Ballen Seide stattgefunden hatte, setzte sich die Luftfracht weltweit durch und begab sich auf einen immer noch anhaltenden Höhenflug. Von der Menge her ist das Frachtaufkommen in der Konkurrenz zu Schiff, Straße und Bahn zwar im Promillebereich zu verorten, doch die Qualität der Güter und die überwundenen Entfernungen sprechen für sich. Die auf den deutschen Flughäfen verladene Luftfracht ist im Schnitt nach 5200 Kilometern am Ziel.
Die Lufthansa mischt in dem Milliardengeschäft kräftig mit und preist ihre Cargo-Tochter als technologischen Industrieführer. Vom Weltluftfahrtverband IATA wird der Kranich nach Tonnenkilometern als Nummer sechs knapp hinter dem Erzrivalen Emirates aus Dubai geführt. Die Spitzenplätze belegen regelmäßig FedEx und UPS mit ihrem starken Heimatmarkt USA. Lufthansa Cargo hat sich auf besonders schwierige und lukrative Segmente spezialisiert, wie zum Beispiel den Transport von Tieren, Luftpost, Wertfracht und temperatursensiblen Gütern. Dazu gehören zum Beispiel Fische: Nicht umsonst ist Frankfurt der größte Fischumschlagplatz Deutschlands noch vor den Seehäfen.
„Die langfristige Wachstumsstory ist weiterhin intakt“, sagt Luftverkehrs-Analyst Ulrich Horstmann von der Bayerischen Landesbank. Doch kurzfristig fürchtet er heftige Rückschläge für das sensible Frachtgeschäft, das wie kaum ein anderes an einer florierenden Weltwirtschaft hängt. Das war bereits 2008 nach dem Lehman-Crash so und könnte in der Folge der aktuellen Haushaltskrisen in den USA und Europa schnell wieder passieren. Der Flugzeughersteller Boeing sieht langfristig vor allem in Asien hohe Wachstumpotenziale, so dass sich in den kommenden 20 Jahren die weltweite Frachterflotte von derzeit knapp 1800 Flugzeugen nahezu verdoppeln könnte.
Im engen Europa mit seinem Wirtschaftszentrum Deutschland könnten die Lande- und Abflugrechte schnell knapp werden, zumal an vielen Orten der Widerstand gegen einen Flugbetrieb rund um die Uhr wächst. Mit dem Slogan „Die Fracht braucht die Nacht“ wird so beispielsweise in Frankfurt geworben. Die Lufthansa will hier weiterhin ihre Frachter abfertigen, weil sie für ihre Abläufe das Zusammenspiel mit den Passagierfliegern braucht, in deren Bäuchen ebenfalls häufig extra bezahlte Fracht mitfliegt. Als mögliche Alternative zu Rhein-Main bietet sich der schlecht ausgelastete Hunsrück-Flughafen Hahn an. Die 24-Stunden-Lizenz in Rheinland-Pfalz nutzt bereits die arabische Etihad mit ihrem dortigen Europa-Hub.
Die Gesellschaften blicken auf einige Monate zurück, in denen sie viel geflogen sind und dabei mit deutlich steigenden Preisen auch gutes Geld verdient haben. LH Cargo hat im ersten Halbjahr 2011 einen operativen Gewinn von 133 Millionen Euro gemacht und damit die Schwäche des sich langsamer erholenden Passagiergeschäfts ausgeglichen. Doch die Ertragslage der Branche werde nicht so bleiben, warnt Experte Horstmann. Der starke Konkurrenzdruck mit wachsenden Kapazitäten führe zu Preisen, bei denen die Airlines wenig bis nichts verdienten. Lufthansa und Emirates wollen in den kommenden Jahren ihre Flotten ausbauen und auch die Asiaten kaufen kräftig neue Flieger.
Verbesserungsmöglichkeiten sehen Experten unter anderem in einer Reduzierung des exzessiven Papierkriegs, der immer noch mit dem Versenden von Luftfracht verbunden ist. Auch beim Thema Sicherheit, das im vergangenen Jahr mit dem Fund zweier jemenitischer Paketbomben hochkochte, sehen die Akteure Nachholbedarf insbesondere bei den bürokratischen Vorgaben.