Nachtflugverbot: Heftiger Streit in Frankfurt
Frankfurt/Main (dpa) - Unmittelbar vor Eröffnung der neuen Landebahn am Frankfurter Flughafen wird weiter heftig um das Milliarden-Projekt gestritten.
Das kurzfristig vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) verhängte Nachtflugverbot verursacht allein bei der Frachtsparte der Lufthansa Verluste in zweistelliger Millionenhöhe, weil Flüge ganz abgesagt oder nach Köln/Bonn verlagert werden müssen.
Obwohl Fluglotsen vor erheblichen Betriebsproblemen mit der neuen Bahn warnen, hält Flughafenbetreiber Fraport an der Eröffnung fest, bei der an diesem Freitag Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit ihrer Regierungsmaschine als erste auf der neuen Piste landen soll.
„Wir erwarten Ergebniseinbußen im bedeutenden zweistelligen Millionenbereich“, sagte Lufthansa-Cargo-Chef Karl Ulrich Garnadt am Donnerstag in Berlin. Genaue Zahlen könne er noch nicht nennen. Es sei aber wahrscheinlich, dass sich der Schaden auf dem Niveau kursierender Schätzungen bewege.
Diese liegen zwischen 30 und 50 Millionen Euro. Wegen des Verbots verlegt das Unternehmen fünf Nachtflüge pro Woche zum Flughafen Köln/Bonn und streicht einige Verbindungen nach China.
„Das Nachtflugverbot zwingt uns zu einem Flugplan, der ökonomisch und ökologisch teilweise absurd ist“, kritisierte Garnadt. Die Piloten fliegen demnach am Abend mit den beladenen Maschinen von Frankfurt nach Köln/Bonn, wo die Flugzeuge drei bis vier Stunden später in Richtung China abheben - wenn der russische Luftraum frei sei und die zugewiesenen Landezeiten in Fernost erreicht werden. Die zusätzlichen Starts und Landungen führten zu mehr Lärm und mehr Kerosinverbrauch, erklärte der Lufthansa-Cargo-Chef.
„Es geht um Deutschlands wichtigstes internationales Luftverkehrsdrehkreuz“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, Matthias von Randow. In Frankfurt würden 70 Prozent der deutschen Luftfracht verschickt. Die Wirtschaft brauche Nachtflüge. Bislang gab es in Frankfurt kein Nachtflugverbot und etwa 50 Flugbewegungen pro Nacht.
Massive Betriebsprobleme befürchten die Fluglotsen. Mit der strikten richterlichen Vorgabe müssten möglicherweise startbereite Jets für die Nacht wieder auf Parkpositionen geschickt werden, wenn sie vor 23.00 Uhr nicht mehr starten können, erklärte die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) in Frankfurt.
Die Maschinen könnten dann erst am nächsten Morgen rausgehen und die Passagiere müssten in Hotels untergebracht werden. Der Flugplan sei nicht auf ein abruptes Ende um 23.00 Uhr ausgelegt, sagte der Frankfurter Towerlotse Jörg Biermann der Nachrichtenagentur dpa.
Die Lotsen beklagten zudem in dem engen Luftraum die zunehmende Komplexität der Flugabwicklung, für die unter anderem neue Lärmschutzvorgaben gelten. Die Arbeitsabläufe für das Personal in der Kontrollzentrale Langen und im Kontrollturm Frankfurt würden zunehmend fehleranfällig. Die GdF bezweifelte, ob der angestrebte Eckwert von 126 Flugbewegungen pro Stunde in einigen Jahren mit dem System erreicht werden kann. Vorerst wird die Stundenkapazität von 82 auf 90 Flugbewegungen hochgefahren.
Neben der Lufthansa sehen sich auch kleinere Logistik-Unternehmen als wirtschaftliche Opfer des kurzfristig verhängten Nachtflugverbots am Frankfurter Flughafen. Die Entscheidung sei ein Schlag ins Gesicht, erklärte die Geschäftsführerin des Frachtfliegers Nightexpress, Yvonne Boag. Das Unternehmen ist nach Lufthansa Cargo der zweitgrößte Anbieter von Fracht-Nachtflügen aus Frankfurt und wickelt nach eigenen Angaben seit fast 30 Jahren kurzfristige Cargo-Flüge in der Kernnacht ab. Ohne Sonderflüge in der Nacht verliere man nicht nur Umsatz und Kunden, sondern auch den „guten Ruf als Notfall-Logistiker“.
Grundsätzliche Kritik übte der ökologisch orientierte Verkehrsclub Deutschland (VCD). Merkel nehme an einem „Showakt der Industrie“ teil, die versuche, alle Umweltfolgen des Flugverkehrs zu ignorieren, erklärte der Verband. Der Ausbau verschiedener Flughäfen führe zu einer extremen Zunahme von Lärm im Alltag von Hunderttausenden, wie die bundesweiten Proteste belegten.
Die Schmerzgrenze sei erreicht. Der VCD erneuerte seine Kritik an den Klima-Belastungen durch den Flugverkehr, die auf den Personenkilometer gerechnet rund achtmal höher lägen als bei der Eisenbahn.
Die neue Landebahn mit Flugzeugbrücken über die Autobahn entstand in zweieinhalb Jahren Bauzeit im Nordwesten des bisherigen Geländes und soll die Kapazität des Flughafens um 50 Prozent erhöhen. Die reinen Baukosten beziffert Fraport auf 600 Millionen Euro, hinzu kommen die Verlagerung des Ticona-Chemiewerks (670 Millionen Euro) und Umwelt-Ausgleich für rund 160 Millionen Euro. Der gesamte Ausbau mit einem dritten Terminal soll vier Milliarden Euro kosten.
In jahrelangen Vermittlungsgesprächen (Mediation) hatten sich die Beteiligten auf ein Nachtflugverbot als Gegenleistung für die vierte Bahn des größten deutschen Flughafens geeinigt. In ihrer Planfeststellung im Jahr 2007 hatte die hessische Landesregierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) dennoch durchschnittlich 17 Flüge pro Nacht zugelassen. Gegen diese Regelung sind noch Klagen beim Bundesverwaltungsgericht anhängig, weswegen der VGH die Nachtflüge kurzfristig bis zum letztinstanzlichen Urteil ganz gestoppt hat.