Schuldenkrise: Athen will rasch zweites Hilfspaket
Berlin/Athen/Rom (dpa) - Athen appelliert an die Euro-Länder, rasch über ein zweites Hilfspaket für das pleitebedrohte Land zu entscheiden.
„Diese Unsicherheit verschreckt Investoren. Wenn wir nicht bald die Entscheidung haben, dass das zweite Programm Griechenland schützt und das Land seine tiefgreifenden Reformen unternehmen kann, wird das Programm selbst unterlaufen“, warnte Ministerpräsident Giorgos Papandreou in einem Interview der „Financial Times Deutschland“ vom Donnerstag. „Die aktuelle Stimmung hilft uns nicht, aus der Krise herauszukommen“, sagte er. Derweil stimmte die erste Parlamentskammer in Italien einem 79 Milliarden Euro schweren Sparplan zu. Am Freitag soll das Paket definitiv das Parlament in Rom passieren.
Keine Einigkeit herrscht in der EU über einen EU-Sondergipfel. Erst müsse das Griechenland-Programm entscheidungsreif sein, forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrem Besuch in Nigeria. Auch nach wochenlangen Debatten sind die Kernfragen weiterer Griechenland-Hilfen unter den Euro-Ländern umstritten. Seit 2010 hängt das pleitebedrohte Land am Finanztropf der EU und des Internationalen Währungsfonds. Aus dem ersten 110-Milliarden-Programm sind inzwischen 65 Milliarden Euro freigegeben, über ein zweites Hilfsprogramm im Volumen von bis 120 Milliarden Euro wird diskutiert.
Zu den Hauptstreitpunkten gehören die Details einer Beteiligung privater Gläubiger. Auch ein teilweiser Zahlungsausfall Athens ist nicht mehr tabu. Im Kampf gegen eine weitere Ausbreitung der griechischen Schuldenkrise auf Italien oder Spanien soll auch der Rettungsfonds für klamme Euro-Staaten (EFSF) neue Aufgaben bekommen, was die Aufgabe noch schwieriger macht.
In Italien hatte Wirtschaftsminister Giulio Tremonti unter dem Druck von Märkten die vor knapp zwei Wochen vorgestellten Sparmaßnahmen verschärft. 79 Milliarden Euro anstatt zuvor 47 Milliarden sei der Umfang der Maßnahmen Tremontis, berichteten italienische Medien am Donnerstag. „Europa ist heute mit dem Schicksal verabredet“, erklärte Tremonti. Dabei könne sich die Politik keine Fehler leisten. Am Freitagabend soll das Abgeordnetenhaus den Plan definitiv verabschieden. Obwohl nicht einverstanden, hatte die Opposition angesichts der prekären Lage versprochen, das Paket nicht zu behindern.
Tremonti, der bisher im Ausland als italienischer Garant für Seriosität galt, will mit den Maßnahmen im laufenden Jahr zusätzliche 3 Milliarden Euro, 2012 weitere 6 Milliarden, 2013 zusätzliche 25 Milliarden und 2014 zusätzliche 45 Milliarden in die italienischen Staatskassen fließen lassen. Vorgesehen sind Einsparungen, Gebühren- und Steuererhöhungen wie auch Mehreinnahmen etwa durch Privatisierungen.
Nach Griechenland hat Italien - bei strukturellen Defiziten und niedrigem Wachstum - den zweithöchsten Schuldenstand im Euroraum. Bei einer für 2011 vom Internationalen Währungsfonds (IWF) auf 120,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) geschätzten Staatsverschuldung ist Sparen dringend nötig. Nach den Euro-Regeln sind eigentlich nur 60 Prozent erlaubt. Italien war aber schon 1999 mit einem deutlich größeren Schuldenberg von mehr als 100 Prozent des BIP in die Währungsunion gestartet.
Kanzlerin Merkel lässt einen Termin für einen EU-Sondergipfel zur Schuldenkrise in Europa weiter offen. Für ein Treffen der Staats- und Regierungschefs müsse die Voraussetzung gegeben sein, dass über ein fertiges Programm für Griechenland entschieden werden könne - „das kann man jetzt nicht sagen“, erklärte Merkel am Donnerstag bei ihrem Besuch in Nigeria.
In Athen herrschte am Donnerstag Verunsicherung, nachdem Medien berichteten, Griechenland könnte von den großen Ratingagenturen bald für „selektiv zahlungsunfähig“ erklärt werden. Papandreou erklärte bei einer Sitzung des Ministerrats: „Die nächsten Tage werden kritisch sein, das wissen Sie.“
Unter dem Druck von EU und IWF hatte Papandreou Ende Juni ein umfassendes Reform- und Sparpaket durchs Parlament gebracht, das den Griechen weitere Steuererhöhungen und Leistungskürzungen abverlangt. Bis 2015 will Athen zudem Staatsbesitz im Wert von 50 Milliarden Euro privatisieren. EU und IWF hatten die Verabschiedung des Sparpakets als Voraussetzung für weitere Kreditzahlungen verlangt.
Die Verzögerung der ursprünglich für Anfang Juli geplanten Hilfsbeschlüsse erhöht den Druck an den Märkten. Die Ratingagentur Fitch hatte die Kreditwürdigkeit Griechenlands am Mittwoch auf „CCC“ herabgestuft und damit nur knapp vor einem Zahlungsausfall.
Bei einem Treffen der Euro-Finanzminister Anfang der Woche wurde deutlich, dass Kernfragen des neuen Griechenland-Notplans weiter umstritten sind. Besonders bei der Einbeziehung von Banken und Versicherungen drehen sich die Europäer im Kreis. Vor allem Deutschland, die Niederlande und Finnland pochen darauf, dass die Privatgläubiger einen „substanziellen Anteil“ an dem Paket stemmen.
Papandreou begrüßte Überlegungen der Euro-Partner, wonach Athen mit Geld aus dem Euro-Rettungsfonds EFSF eigene Anleihen zur Hälfte des Nennwerts zurückkaufen könnte. „Wir stehen all diesen Ideen offen gegenüber. Diese Idee könnte Griechenland die Schuldenlast erleichtern, aber auch den Schuldendienst“, sagte er der „FTD“.