Nach Diesel-Urteil Sorge vor „Flickenteppich“ aus Fahrverboten wächst

Berlin (dpa) - Nach dem Urteil über mögliche Fahrverbote für Millionen Diesel-Autos wird die Debatte über ein schlüssiges Gesamtkonzept schärfer. Die Sorge vor einem „Flickenteppich“ aus Verboten wächst, weil jede Stadt mit einem anderen Plan und unterschiedlichen Einschränkungen reagieren könnte.

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Zugleich nimmt der Druck auf die Politik zu, eine Nachrüstung schmutziger Diesel-Fahrzeuge auf Kosten der Hersteller zu erzwingen.

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Die künftige Bundesregierung will sich zügig mit der Möglichkeit einer sogenannten blauen Plakette für relativ saubere Autos beschäftigen. „Das Thema wird in der neuen Bundesregierung alsbald aufgegriffen werden“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert auf die Frage, ob die Regierung weiter gegen die Plakette sei oder sie nicht mehr ausschließe.

Die Bundesregierung werde „unmittelbar nach Auswertung der Urteilsbegründung“ mit Ländern und Kommunen beraten, kündigte Seibert an. Die Sorge, dass ein „Flickenteppich“ von Fahrverboten entstehen könne, werde man „aufnehmen und prüfen, wie wir die Maßnahmen und die Festsetzung von Kriterien unterstützen können“. Ziel sei, Beschränkungen wo immer möglich zu vermeiden.

Die ausführliche Begründung seines Urteils wird das Bundesverwaltungsgericht voraussichtlich in etwa zwei Monaten vorlegen, wie eine Gerichtssprecherin sagte. Die Leipziger Richter hatten entschieden, dass Diesel-Fahrverbote in Düsseldorf und Stuttgart erlaubt sind, wenn es der einzige Weg ist, EU-Grenzwerte schnell einzuhalten. Diese Urteile bezögen sich nur auf diese beiden Städte, sagte die Sprecherin. „Rechtlich gesehen gibt es eine Bindungswirkung nur für die Beteiligten.“

In diesem Fall sind das die Deutsche Umwelthilfe und die Länder Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Dem Urteil wird aber eine Signalwirkung für ganz Deutschland zugesprochen. „Jeder Richter ist unabhängig, aber höchstrichterliche Entscheidungen können eine Orientierungsfunktion haben“, sagte die Gerichtssprecherin.

Die Hamburger Umweltbehörde hat nur einen Tag nach dem Urteil bereits ein Foto mit dem Entwurf für Fahrverbotsschilder getwittert. Sie sollen ebenso wie Schilder für Ausweichrouten in Kürze bestellt werden. In Hamburg müssen Autofahrer bereits in zwei Monaten mit Fahrverboten an zwei Straßen rechnen.

Aus Sicht mehrerer Länder lassen sich Fahrverbote zwar verhindern - doch es droht eine Vielzahl von Prozessen und einzelnen Regelungen. Auch deshalb werden Forderungen nach einer bundesweit einheitlichen „blauen Plakette“ lauter, um saubere, moderne Diesel von Fahrverboten auszunehmen. Ein Thema bleiben zudem spezielle Vorgaben für Handwerker und neue Modelle für den öffentlichen Nahverkehr.

Besitzer älterer Dieselautos müssen nach Einschätzung des Kraftfahrzeuggewerbes mit einem dauerhaften Wertverlust von bis zu 15 Prozent für ihr Fahrzeug rechnen. Das treffe vor allem Händler stark, die entsprechende Leasingfahrzeuge zu einem fest vereinbarten Preis zurücknehmen müssten, sagte der Präsident des Verbandes im Südwesten, Harry Brambach. Händler blieben dann auf ihren Kosten sitzen. Der Verband forderte, Möglichkeiten zur technischen Nachrüstung der betroffenen Dieselfahrzeuge zu schaffen. Das wird von den Autobauern bislang abgelehnt. Sie setzen auf Software-Updates.

Die SPD verlangt höhere Anreize der Autobauer, damit alte Dieselautos schneller aus dem Verkehr gezogen werden können. „Die von den Herstellern gezahlten Kaufprämien für Neufahrzeuge müssen von den Unternehmen erhöht werden“, forderten die SPD-Vizefraktionschefs im Bundestag, Sören Bartol, Matthias Miersch und Hubertus Heil. Dies sei nötig, „da sich viele Besitzer älterer Fahrzeuge ansonsten keinen Neuwagen leisten können“, heißt es in einem Brief der Politiker.

Der Städte- und Gemeindebund sieht auf Kommunen und Autobauer eine Prozessflut zukommen. „Es besteht nicht nur die Gefahr einer "Mammut-Fahrverbotsbürokratie", sondern es ist auch eine Prozessflut zu befürchten, mit der sich betroffene Dieselfahrzeug-Besitzer, aber auch Anlieger von Straßen, die dann unter dem Umwegeverkehr leiden, zur Wehr setzen werden“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der „Rheinischen Post“.