Studie: Armut in den Städten wächst
Berlin (dpa) - In Deutschlands Großstädten wächst nach einer Studie die Gefahr, in die Armut abzurutschen.
Dort nahm in den vergangenen Jahren die Einkommensarmut stärker zu als auf dem Land, während die Kaufkraft langsamer wuchs oder sogar sank, wie aus einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln (IW) hervorgeht, das dies auch auf steigende Mieten in den Städten zurückführt. Dagegen schrumpfen nach der Analyse die Unterschiede zwischen Ost und West. Mit seinen Schlussfolgerungen zog sich das IW jedoch Kritik von Gewerkschaftsseite zu.
„Das eigentliche Problem ist das Land-Stadt-Gefälle“, sagte IW-Direktor Michael Hüther. Zwar sei Einkommensarmut im Osten stärker verbreitet als im Westen. Rechne man aber gegen, dass Ostdeutsche wegen sieben Prozent niedrigerer Preise als im Westen auch weniger ausgeben müssen, nehme das Gefälle ab.
In den Städten lägen die Preise dagegen sechs Prozent höher als auf dem Land. Zugleich seien die Einkommen vielfach niedriger, weil es dort mehr Arbeitslose, Alleinerziehende und Migranten gebe. 26,4 Prozent der Kölner gelten nach der Studie als kaufkraftarm, es folgen Dortmund, der Westteil Berlins und Bremerhaven. Die Regionen mit den niedrigsten Quoten - beginnend bei 8,3 Prozent - finden sich zwischen Ulm und Augsburg, in Franken und der Pfalz.
Wenn in fünf Jahren der Solidarpakt II auslaufe, durch den Ostdeutschland zusätzliches Geld bekommt, müsse die regionalpolitische Förderung auf Städte und Ballungsräume umgelenkt werden, forderte IW-Chef Hüther. Dort müssten Investitionen, Gründungen, Bildung und Integration gestärkt werden. Der gesetzliche Mindestlohn seien dagegen eine Fehlentscheidung gewesen, weil er nicht auf das regionale Preisniveau Rücksicht nehme.
Die Städte nehmen das Problem sehr ernst, wie der Deutsche Städtetag versicherte. „Die Städte können das Problem der Armut aber nicht allein bewältigen.“ Bund, Länder und Kommunen seien in der Verantwortung, hob Hauptgeschäftsführer Stephan Articus hervor. In vielen Großstädten müssten die unteren Einkommensgruppen schon 40 Prozent ihres Einkommens und mehr für das Wohnen aufwenden.
Für seine Studie hat das Institut den Zahlen für relative Einkommensarmut die jeweiligen Preise in den Regionen gegenüber gestellt. Daraus bilden die Forscher den neuen Begriff Kaufkraftarmut, den sie für aussagekräftiger halten. Einkommensarm ist laut IW, wer als Alleinstehender weniger als 870 Euro im Monat zur Verfügung hat.
Doch will sich ein Münchner genauso viel leisten wie ein Durchschnittsdeutscher mit jenen 870 Euro, muss er 1030 Euro ausgeben, wie die Analyse ergab. In Stendal und im Vogtland reichten dagegen knapp 800 Euro. Stark gesunken ist demnach die Kaufkraft in Städten wie Duisburg, Dortmund und Gelsenkirchen. Folglich sei im Ruhrgebiet auch die Kaufkraftarmut am stärksten gewachsen. Große Probleme gebe es weiterhin auch in Mecklenburg-Vorpommern.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund äußerte sich kritisch zu den Forderungen des arbeitgebernahen Instituts. Niedrigere Preise seien kein Grund für niedrigere Löhne - etwa im Osten, wie Vorstandsmitglied Stefan Körzell hervorhob. „Schließlich unterscheidet auch die Bahn bei ihren Fahrpreisen nicht zwischen Fahrgästen aus Anklam oder Stuttgart.“
Arbeitslose, Alleinerziehende und Menschen mit Migrationshintergrund müssten passgenau gefördert werden, fügte Körzell hinzu. „Auch der künftige gesetzliche Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro wird vielen von ihnen helfen, aus eigener Kraft ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.“