Nach heiklen Äußerungen zur NS-Zeit Verena Bahlsen wird nicht Firmenchefin - „wieder Ruhe reinbringen“
Hannover · Geschwisterzwist, Strategiewechsel, „Krümelmonster“-Affäre: Bei Bahlsen fliegen oft die Fetzen. Auch die Geschäfte des Kekskonzerns liefen zuletzt durchwachsen. Und nach den heiklen Äußerungen einer Erbin zur Firmenhistorie ist die Führungsfrage offener denn je.
Bei der Keksdynastie Bahlsen verabschiedet sich die Familie endgültig aus der Leitung des täglichen Geschäfts. Patriarch Werner M. Bahlsen (70), der sich 2018 vom Chefposten zurückgezogen hatte, und seine Frau Susanne lassen nach externen Kandidaten für die oberste Management-Position suchen. Auch Tochter Verena soll zuvor Interesse angemeldet haben. Doch sie wird den Top-Job nicht antreten.
„Kein Familienmitglied der nächsten Generation wird in die operative Führung des Unternehmens einsteigen“, stellte Werner Bahlsen jetzt im „Handelsblatt“ klar. Der Gebäckhersteller aus Hannover hat schon seit längerem keinen hauptverantwortlichen Vorstandschef. Derweil will die Managerin Daniela Mündler im Frühjahr wegen Differenzen über die künftige Strategie Bahlsen verlassen. Neben ihr beschäftigt die Firma derzeit Scott Brankin und Jörg Hönemann als hohe Führungskräfte.
Dass Miterbin Verena - sie hat drei Geschwister - vor einer möglichen Berufung an die Spitze gestanden habe, wollte Familienoberhaupt Werner Bahlsen nicht bestätigen: „Nicht alles, was geschrieben wird, ist richtig.“ Seine Frau sprach in dem Interview von „Gerüchten“.
Verena Bahlsen hatte zuletzt auch massive Kritik auf sich und die Firma gezogen. Im vergangenen Frühjahr sagte sie der „Bild“-Zeitung mit Blick auf die Rolle des Unternehmens in der NS-Zeit: „Wir haben die Zwangsarbeiter genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt.“ Der Historiker Michael Wolffsohn meinte daraufhin, derlei Aussagen seien „eines bundesdeutschen Unternehmens unwürdig“. Der deutsch-jüdische und in den USA lebende Wissenschaftler Guy Stern sagte der Deutschen Presse-Agentur, in den Äußerungen der Erbin schwinge eine „psychologische Erniedrigung“ der Betroffenen mit.
Werner Bahlsen zeigte Verständnis für die Kritik - nahm seine Tochter aber auch in Schutz: „Sie trudelte da durch unglückliche Umstände in etwas hinein.“ Bisher habe man über die Familiengeschichte zu wenig gewusst, Schritte wie der Beitritt zu einem Entschädigungsfonds reichten nicht. „Wir hätten schon damals weiterbohren müssen.“ Susanne Bahlsen sagte: „Wir alle hätten uns früher mit dem Thema beschäftigen müssen.“ Dass ihre Tochter nach der Äußerung so scharf angegangen wurde, habe sie als Mutter allerdings „sehr getroffen“.
Das niedersächsische Keks-Imperium hatte schon mehrfach mit teils skurrilen Episoden für Schlagzeilen gesorgt. Die Ursprünge der von Hermann Bahlsen gegründeten Firma reichen bis in die 1880er Jahre zurück. 1999 kam es zum Bruch, als Werner Bahlsen die „süße“ Gebäck- und sein Bruder Lorenz die „salzige“ Snack-Sparte in Eigenregie weiterführten. Interne Machtkämpfe sollen dem vorausgegangen sein.
Auch später gab es Auseinandersetzungen über die Strategie und das passende Sortiment. In jüngster Zeit setzten starke Konkurrenz und die globale Handelspolitik der Firma zu. Es gebe „einige Baustellen“ und „große Hausaufgaben“, räumte Werner Bahlsen nun ein. Das Jahr 2018 endete mit 3,3 Millionen Euro Verlust, für 2019 soll es aber einen „ordentlichen Gewinn“ geben. Belege dafür lieferte der Ex-Chef und heutige Vorsitzende des Verwaltungsrats nicht: „Zu Zahlen sagen wir grundsätzlich nichts.“ Nur: „Dieses Unternehmen verdient Geld.“
Auf dem vollbesetzten deutschen Gebäckmarkt bleiben kaum Nischen, das wichtige Geschäft mit Supermarkt-Eigenmarken soll Berichten zufolge schwächeln. Und im Ausland treffen der Brexit sowie US-Strafzölle auf bestimmte Lebensmittel die Gruppe mit ihren 2730 Beschäftigten hart: Die Zusatzabgaben seien eine große Bürde für das Exportgeschäft.
Sogar das „Krümelmonster“ hatte den Keksfabrikanten schon einmal heimgesucht. Anfang 2013 war das Firmenemblem - ein goldener Keks - von der Fassade des Bahlsen-Stammhauses verschwunden. Es folgte ein Erpresserbrief, in dem ein selbsternannter „Sesamstraßen“-Bewohner die Versorgung eines Kinderkrankenhauses und Spenden an ein Tierheim forderte. Später tauchte der Riesenkeks vor der Universität Hannover plötzlich wieder auf, einiges sprach für einen Studentenstreich.
Viele Familienbetriebe gelten als schwierig zu führende Unternehmen. Jedoch liege in gemeinsamen Entscheidungen auch eine Stärke, betont Werner Bahlsen - „wenngleich es da natürlich ab und zu rumpelt, auch mal Tränen fließen, emotionale Ausbrüche drohen“. Die Kinder sollten über ihre Zukunft selbst bestimmen dürfen, sagt seine Frau Susanne. Beim „Generationsübergang“ und der Auswahl der neuen Führung hätten sie aber natürlich ein gewichtiges Wort mitzureden: „Unser Ziel ist es, hier dieses Jahr endlich wieder Ruhe reinzubringen.“