VW-Gesetz erneut im EU-Visier

Brüssel/Hannover (dpa) - Im Streit um das VW-Gesetz verklagt die EU-Kommission Deutschland auf ein millionenschweres Bußgeld.

In dem seit zehn Jahren schwelenden Streit zieht die EU-Behörde zum zweiten Mal vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) und fordert eine Änderung der historischen Regelung bei Volkswagen. Die „ungerechtfertigte Sonderstellung“ des Landes Niedersachsen bei dem Autobauer verstoße gegen EU-Recht und müsse abgeschafft werden, teilte die EU-Kommission am Donnerstag in Brüssel mit.

Ändert die Bundesregierung das Gesetz nicht, verlangt die Kommission vor Gericht eine Strafe von mindestens 46,5 Millionen Euro. Diesen Betrag müsste die Bundesrepublik und nicht VW selbst zahlen. Die EU-Kommission erwartet, dass die Bundesregierung den Passus im Gesetz abschafft, der Niedersachsen mit einem Anteil von 20 Prozent eine Sperrminorität bei dem Wolfsburger Autobauer sichert. Allgemein üblich im Aktienrecht sind dafür 25 Prozent.

Politiker und Gewerkschaften fürchten um den Schutzwall für den Autobauer und die Mitbestimmung. Schon im Vorfeld hatte es daher massiv Kritik aus Deutschland an der neuen EU-Klage gehagelt. Zugleich zeigten sich Landesregierung und Betriebsrat aber überzeugt, dass das VW-Gesetz einer erneuten Überprüfung beim Europäischen Gerichtshof standhalten wird.

Die Entscheidung der EU-Kommission sei nicht nachvollziehbar - schon gar nicht zum jetzigen Zeitpunkt, erklärte Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister. Die Bundesregierung reagierte ebenfalls mit Bedauern. Man gehe davon aus, dass das erste EuGH-Urteil mit dem neuen Gesetz von 2008 umgesetzt wurde, sagte eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums am Donnerstag in Berlin.

„Die Kommission wird sich vor dem Gerichtshof eine blutige Nase holen“, sagte VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh. Der Betriebsrat werde sich eng mit der Bundesregierung und dem Land über die nächsten Schritte zur Sicherung des VW-Gesetzes abstimmen. „EU-Binnenmarktkommissar (Michel) Barnier ist ein neoliberaler Brandstifter“, wetterte IG-Metall-Bezirksleiter Hartmut Meine.

Das VW-Gesetz bevorzuge staatliche Aktionäre gegenüber privaten Investoren, begründete dagegen die Sprecherin von Barnier die Klage, die in den nächsten Wochen eingereicht werde. „Da VW ein Privatunternehmen ist, ist dies nicht angemessen.“ Die Regelung schrecke potenzielle Investoren ab, behindere Innovationen und könne zu steigenden Preisen führen. Dies sei ein Verstoß gegen die Freiheit des Kapitalverkehrs. Das Vetorecht des Landes hatte Volkswagen unter anderem vor der Übernahme durch Porsche bewahrt.

Nach Ansicht von Diplomaten gibt es für Volkswagen aber ein Schlupfloch, auch nach der Streichung des strittigen Passus' dem Land noch eine Sperrminorität einzuräumen. „Die Hauptversammlung kann solche Vorschriften beschließen. Dies muss sie aber aus freiem Willen tun, ohne dass ein Gesetz es vorschreibt“, sagte ein EU-Diplomat.

Nach einem ersten EuGH-Urteil von 2007 hatte die Bundesregierung zwei der drei strittigen Punkte des VW-Gesetzes gestrichen. Damals wurde das Recht von Bund und Land abgeschafft, zwei Vertreter in den Aufsichtsrat zu entsenden. Außerdem wurde die Stimmrechtsbeschränkung aufgehoben, wonach auch Großaktionäre unabhängig von ihren Anteilen nicht mehr als 20 Prozent der Stimmrechte ausüben durften. Die Bundesregierung argumentierte, damit sei dem Gerichtsurteil Rechnung getragen.

Die 20-Prozent-Sperrminorität blieb aber weiter erhalten. Wer auf der Hauptversammlung des Konzerns Entscheidungen von Tragweite fällen will, braucht dort mehr als 80 Prozent der Stimmen. Die Kommission weigerte sich daher, das Verfahren einzustellen, legte es aber drei Jahre lang auf Eis.

Die EU-Kommission geht ausdrücklich nicht gegen die Mitbestimmung der Arbeitnehmer vor. So bedarf auch laut novelliertem VW-Gesetz die Errichtung und Verlegung von Produktionsstätten einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Aufsichtsrat - das heißt, sie kann nur mit Zustimmung der Arbeitnehmer beschlossen werden. „Um diesen Standortschutz geht es uns nicht“, sagte die EU-Sprecherin.

Das Gericht muss nun klären, ob auch das überarbeitete VW-Gesetz unzulässig ist. Die Richter könnten weitere Änderungen verlangen und zudem ein Bußgeld verhängen, das auch noch höher ausfallen kann.