Wachstumslokomotive China verliert an Dampf
Peking (dpa) - Drache auf Sparflamme: Chinas Wachstum ist mit 7,6 Prozent im zweiten Quartal auf den niedrigsten Stand seit drei Jahren gefallen.
Die schwache Nachfrage nach „Made in China“ im schuldengeplagten Europa, die Stagnation des Immobilienmarktes und ein langsamer Zuwachs des heimischen Konsums bremsen die zweitgrößte Wirtschaftsnation. Das Wachstum ist jetzt sechs Quartale in Folge zurückgegangen, wie das Statistikamt am Freitag in Peking berichtete.
China kann der Weltkonjunktur damit nur noch schwerer auf die Sprünge helfen. Auch die deutsche Exportwirtschaft, die stark vom China-Geschäft profitiert hat, bekommt die Abkühlung zu spüren. Nach einem Wachstum von 9,2 Prozent im vergangenen Jahr wurden im Reich der Mitte schon im ersten Quartal nur noch 8,1 Prozent erreicht. Analysten der Commerzbank sagen für das ganze Jahr nur noch 7,5 Prozent voraus. Andere Schätzungen sind mit bis zu 8,5 Prozent Plus etwas optimistischer.
Der Zuwachs erscheint im Vergleich zu den krisengeschüttelten Industrienationen hoch, doch braucht China als Entwicklungsland mit großem Nachholbedarf ein viel höheres Wachstum, um ausreichend Arbeitsplätze zu schaffen, soziale Spannungen und andere Probleme zu bewältigen, wie Regierungschef Wen Jiabao diese Woche mahnte.
Der Zuwachs der Industrieproduktion ging im Juni weiter auf 9,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat zurück. Die Gewinne der Industrie fielen dadurch in den ersten fünf Monaten um 2,4 Prozent, was „Anlass zur Sorge“ gibt, wie die Commerzbank kommentierte. Die Konjunkturschwäche resultiere vor allem aus Überkapazitäten in einigen Sektoren und konzentriere sich auf die südlichen Regionen. Deswegen dürfte eine Ursache die Überinvestitionen der vergangenen Jahre sein. Hinzu komme die schwächere Weltkonjunktur.
Der Zuwachs der Anlageinvestitionen, die ein Treiber des Wachstums sind, verringerte sich im ersten Quartal um 5,2 Punkte auf 20,4 Prozent, wie das Statistikamt berichtete. Das Investitionswachstum im Immobiliensektor ging im ersten Halbjahr auf 16,6 Prozent zurück. Zwischen Januar und Mai hatte der Zuwachs noch 18,5 Prozent betragen. Seit strenge Kontrollen eine Überhitzung verhindern sollen, stagniert der Immobilienmarkt, der laut Internationalem Währungsfonds (IWF) zwölf Prozent zu Chinas Wirtschaftsleistung beiträgt.
Mit dem Rückgang der Nachfrage besonders in der schuldengeplagten Europäischen Union war auch Chinas Exportwachstum im ersten Halbjahr auf 9,2 Prozent gefallen. Um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, hatte die Zentralbank seit Juni zweimal in einem Monat die Leitzinsen und seit November schon dreimal die Anforderungen für das Mindestkapital der Banken gesenkt. So legten neue Kredite der Banken im Juni zu. Wegen der deutlich gefallenen Inflation sehen Experten wieder mehr Spielraum für eine weitere Lockerung der Geldpolitik.
Doch sieht der renommierte Ökonom Andy Xie darin „die falsche Medizin“, weil die Folgen nur wieder Inflation, Blasenbildung und eine Schwächung des Bankensystems wären, die für eine schwelende Schuldenkrise gewappnet sein müssten. Vielmehr müssten die Steuern gesenkt, der Behördenapparat verkleinert, die Staatsbetriebe beschränkt, die Rechtsstaatlichkeit verbessert und Unternehmen Anreize gegeben werden, sich auf Qualität, Technologie und Marken zu konzentrieren, schrieb Xie im Wirtschaftsblatt „Caixin“.
Die schwierige Lage zeigt laut Wirtschaftsprofessor Liu Yuanchun von der Volksuniversität in Peking, dass es neben der schwächeren internationalen Nachfrage und einer Überregulierung auch „tiefsitzende strukturelle Probleme“ gebe.