Opel: Nach Stracke-Rückzug wächst Angst vor Kahlschlag
Rüsselsheim (dpa) - Der Abschied von Opel-Chef Karl-Friedrich Stracke schürt beim angeschlagenen Autobauer neue Ängste vor einem Kahlschlag. Der Bochumer Betriebsrat warnte am Freitag vor einer erneuten Diskussion über Werksschließungen.
„Wir werden darauf achten, dass bestehende Zusagen und Verträge eingehalten werden“, sagte der Bochumer Betriebsratschef Rainer Einenkel. Insider sind überzeugt, dass die US-Mutter General Motors (GM) einen Nachfolger inthronisieren wird, der härter durchgreift. Die hohen Verluste, flankiert von einem kräftigen Absatzeinbruch und teuren Überkapazitäten, dürften wichtige Gründe für Strackes Abgang sein. Als heißester Kandidat für den Chefposten gilt der frühere Unternehmensberater und jetzige Opel-Strategievorstand Thomas Sedran. Nach Informationen der „Bild“-Zeitung werden auch Produktionsvorstand Peter Thom Chancen eingeräumt.
Der Standort Bochum galt schon vor dem unerwarteten Rückzug Strackes als einer der ersten Streichkandidaten bei dem defizitären Autobauer. Stracke war zuletzt aber von seinen ursprünglichen Plänen abgewichen, Bochum 2015 zu schließen. Im Gegenzug für einen Lohnverzicht der Arbeitnehmer wollte er dem Werk zwei Jahre Gnadenfrist einräumen. Seit Stracke am Donnerstag vor die Tür gesetzt wurde, wird spekuliert, ob dieses Vorhaben noch Bestand hat - oder ob nicht doch schon vor 2016 Werke geschlossen werden.
Die Verhandlungen zu diesem „Deutschlandplan“ sollten im Oktober abgeschlossen werden. Der Frankfurter IG-Metall-Chef und Opel-Aufsichtsratsmitglied Armin Schild forderte am Freitag, an diesem Ziel festzuhalten: „Die zwischen uns und dem Unternehmen vorgesehenen Gespräche müssen wie vereinbart geführt werden.“
Die IG Metall will verhindern, dass der kommende Opel-Chef den von Stracke eingeschlagenen Kompromiss-Kurs verlässt, der Investitionen statt Kündigungen vorsah. Gewerkschafts-Chef Berthold Huber sagte: „Für die IG Metall, Betriebsräte und Opel-Beschäftigte ist nur ein Zukunftskonzept tragfähig, dass keine Schließung von Standorten vorsieht und die Belegschaften mit ihrer Kompetenz beteiligt.“ Es gehe um nicht weniger als die Zukunft von Opel insgesamt. Einenkel warnte vor einer „Kahlschlagpolitik“: „Wir brauchen dringend eine Öffnung der außereuropäischen Märkte und eine neue Modelloffensive.“
Quer durch die Parteien und Opel-Länder werden Zweifel laut, ob Strackes Plan nun noch Gültigkeit besitzt. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) appellierte am Freitag an die Adam Opel AG, den bisherigen Kurs nach dem Stracke-Rücktritt fortzusetzen. Die offensive Strategie müsse beibehalten werden: „Wir werden als Politik darauf achten, dass die Opel-Standorte in ihren Interessen nicht gegeneinander ausgespielt werden.“
Hessens stellvertretender Ministerpräsident Jörg-Uwe Hahn (FDP) sagte „Handelsblatt Online“: „GM verzockt gerade das Vertrauen seiner Mitarbeiter, der Verbraucher und das Vertrauen der Politik.“ Er erwarte endlich eine nachhaltige Unternehmensstrategie: „Diese zu entwickeln und das Unternehmen langfristig zu sichern, ist jetzt die wichtigste Aufgabe eines neuen Opel-Chefs.“
Experten sehen in der Haltung der Arbeitnehmervertreter seit Jahren einen Grund für die Misere bei Opel. Wolfgang Meinig von der Bamberger Forschungsstelle Automobilwirtschaft (FAW) sagte der Nachrichtenagentur dpa am Freitag: „Opel hat zu viele Beschäftigte.“ Mangelnde Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit seien die Hauptursache für die anhaltende Erfolglosigkeit des Herstellers: „Es kann nicht sein, das man Leute durchschleppt, die man nicht braucht.“
Sein Kollege Stefan Bratzel schätzt die Überkapazitäten bei Opel auf mindestens 30 Prozent. „Mit 10 bis 15 Prozent Überkapazitäten kann man leben“, sagte Bratzel der dpa: „Bei 20 bis 30 Prozent schafft es aber keiner mehr, profitabel zu arbeiten.“ Schweres Geschütz fährt Meinig gegen die „Hartnäckigkeit der Betriebsräte“ auf, die Personalbestände zementieren wollten: „Denn das kostet in letzter Konsequenz sehr viele Arbeitsplätze.“
Opel fährt seit Jahren Verluste ein, eine Wende ist nicht in Sicht. Seit 1999 ist es der Traditionsmarke nur 2006 gelungen, auf Jahressicht Gewinn zu schreiben. Wegen der Absatzkrise in Europa leidet der Hersteller zudem unter enormen Überkapazitäten. Im Juni sanken die Neuzulassungen in Deutschland im Vergleich zum Vorjahresmonat um 8 Prozent, im gesamten ersten Halbjahr lag das Minus bei 9,3 Prozent - der Gesamtmarkt wuchs um knapp 1 Prozent. In Europa sieht es noch dramatischer aus: In den ersten fünf Monaten 2012 brachen die Opel-Neuzulassungen um 16 Prozent ein - doppelt so stark wie der Gesamtmarkt.