By-Wire-Technologie fürs Auto ist im Kommen
Ingolstadt (dpa/tmn) - Bowdenzüge und Gestänge waren gestern: Heute sind viele Systeme im Auto elektronisch gesteuert. Die Technologie, die Gewicht spart und Platz schafft, heißt „by wire“. Bei Ingenieuren ist sie beliebt, für den Alltagseinsatz aber gibt es noch Hürden.
Lenkgestänge, Schaltkulisse, Kardanwelle - wenn es nach Peter Kunsch geht, sind diese Bauteile im Auto nur noch Ballast. Der Entwickler bei Audi arbeitet längst an einer alternativen Lösung: Er will immer mehr mechanische und hydraulische Bauteile durch elektrische Komponenten ersetzen und ist damit voll im Trend. Denn auch andere Hersteller versuchen dies. Durch „by wire“ sollen wichtige Funktionen im Auto nur noch per Kabel gesteuert und bedient werden. Vor allem bei sicherheitsrelevanten Komponenten will der Gesetzgeber aber noch ein Wörtchen mitreden.
Schon heute funktionieren Gaspedal oder Automatikgetriebe bei vielen Autos mit der By-Wire-Technologie, und bei den meisten Messestudien hat die Mechanik bereits völlig ausgedient. Dabei hilft den Ingenieuren nicht zuletzt der Trend zum Elektromotor, der mit viel weniger mechanischen Komponenten auskommt als ein Verbrenner. So demonstriert Kunsch die Vision der By-Wire-Steuerung an einer Designstudie: Der elektrische Kleinwagen A2 Concept, der auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) gezeigt wurde, setze komplett auf elektronische Steuerung. Auch habe er keine mechanische Verbindung mehr aus dem Cockpit in den Motorraum.
Besonders stolz ist Kunsch auf die elektronische Lenkung, bei der ein Sensor die Drehbewegungen am Lenkrad misst und damit den E-Motor im Lenkgetriebe steuert. Da das Lenkgestänge dabei überflüssig werde, erhöhe sich die Flexibilität beim Einbau. So könne der Motor tiefer eingebaut werden, was einen günstigeren Schwerpunkt ermögliche. Und es werde Gewicht gespart. „Außerdem wird das Auto sicherer, weil bei einem Unfall die Gefahr durch die Lenksäule entfällt“, erläutert der Entwickler. Ebenfalls „by wire“ arbeitet im A2 die Bremse, bei der Audi auf die aufwendige Hydraulik verzichtet hat. An ihre Stelle treten sogenannte Kugelgewindetriebe, die die Beläge blitzschnell elektrisch an die Scheibe drücken.
Nach Getriebe, Pedalerie und Lenkung rücken die Ingenieure mit ihren Kabeln auch der Kardanwelle bei Geländewagen zu Leibe. Sie arbeiten am elektrischen Allradantrieb und wollen die konventionelle Kraftübertragung verzichtbar machen. „Wenn ein E-Motor die Kraft an der Hinterachse erzeugt, wird die mechanische Verbindung durch den Mitteltunnel hinfällig“, erläutert Peugeot-Sprecher Bernhard Voß. Bei der Hybridversion des Vans 3008 haben die Franzosen das Prinzip erstmals umgesetzt und im Innenraum dabei viel Platz gespart.
Wofür man den Raumgewinn neben der besseren Beinfreiheit im Fond nutzen kann, zeigt die VW-Studie CrossCoupé. Auch der Vorbote des nächsten Tiguan hat einen elektrischen Allradantrieb - mit einem 85 kW/116 PS starken Elektromotor im Heck. „Hier haben die Ingenieure den Platz, den früher die Kardanwelle eingenommen hat, mit den Lithium-Ionen-Akkus gefüllt“, erläutert VW-Sprecher Jochen Grüten.
„Diese Entwicklung hin zur By-Wire-Steuerung freut aber zuallererst die Designer“, sagt Audi-Ingenieur Kunsch. Wenn die Kreativköpfe weniger Rücksicht auf mechanische Komponenten nehmen müssen, haben sie mehr Platz bei der Gestaltung des Innenraums. Aber auch Ingenieure hätten einen Pluspunkt vorzuweisen, denn die Autos würden leichter und damit sparsamer, erläutert ein Entwickler bei Opel. Zudem sei die Entwicklung günstiger.
All das soll letztlich dem Endkunden dienen. So wird der gewonnene Platz manchmal auch für neue Assistenzsysteme genutzt, wie in der Nissan-Designstudie Pivo3, die im Winter auf der Motorshow in Tokio enthüllt wurde. Der Stadtflitzer fährt mit elektrischen Radnabenmotoren und wird komplett ohne Mechanik gesteuert. So genügt der Raum auf knapp drei Metern Fahrzeuglänge für drei Sitzplätze. Und da niemand mehr ein Pedal treten oder an einem Lenkrad kurbeln muss, kann der Winzling alleine fahren: Statt nach einem Parkplatz zu suchen, steigen die Insassen an ihrem Ziel einfach aus. Während der Pivo durchs Parkhaus kreuzt, sind sie schon beim Einkaufen oder Essen. So verheißt es zumindest die Vision der Japaner.
Bis es soweit ist, müssen allerdings nicht nur die Techniker noch zahlreiche Probleme im Detail lösen. Auch die Juristen hätten einen Berg Arbeit vor sich, räumt Audi-Entwickler Kunsch ein: „Denn vielen By-Wire-Technologien fehlt noch der Segen des Gesetzgebers. Hier ist noch viel Überzeugungsarbeit nötig.“ Kunsch ist dennoch zuversichtlich. Schließlich sei die Technologie bei Flugzeugen längst Standard.