Der erste Diesel-Pkw der Welt: Mercedes 260 D
Fellbach (dpa/tmn) - Erst 50 Jahre nach der Erfindung des Autos schaffte es der Dieselmotor zum ersten Mal in einen Pkw - 1936 fuhr der Mercedes 260 D vor. Schon damals sprachen geringer Verbrauch und Haltbarkeit für den Selbstzünder.
Dynamisch wurde der Dieselmotor erst viel später.
Ratter, knatter, peng - es klingt wie das Wettnageln zur Zimmermanns-Weltmeisterschaft. Nach wenigen Sekunden füllt ein dunkler Dunst den Hof. Doch Michael Plag strahlt über das ganze Gesicht: Einmal den Starter betätigt, schon läuft der Mercedes 260 D. Der 2,6 Liter große Vierzylinder, den der Mechaniker aus dem Mercedes Classic Center in Fellbach bei Stuttgart gerade zur Ausfahrt bereit macht, ist nicht irgendein Selbstzünder: Die schwarze Pullman-Limousine gehört zu den weltweit ersten Pkw mit Dieselmotor. Sie feiert in diesem Jahr ihren 75. Geburtstag.
Der Dieselmotor selbst ist zwar schon deutlich älter und lief zum ersten Mal gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Aber in seinen Kindertagen war er vor allem Lastwagen vorbehalten und bahnte den Weg in Lokomotiven oder Schiffen. Dass mittlerweile in jedem zweiten Neuwagen auf deutschen Straßen gedieselt wird, war damals völlig unvorstellbar. Deshalb musste Mercedes auch dicke Bretter bohren, als die Schwaben Anfang der 1930er Jahre mit den ersten Selbstzündern im Pkw experimentierten.
Diesel waren nicht nur am Markt schwer durchzusetzen. Sondern die Techniker hatten vor allem ihre liebe Mühe, die wenig kultivierten Sechszylinder-Lastwagenmotoren in einen Pkw zu verpflanzen. Reihenweise seien ihnen wegen der starken Vibrationen die Rahmen gebrochen, schreiben die Chronisten. Deshalb entwickelten sie einen neuen Vierzylinder mit 2,6 Litern Hubraum und 33 kW/45 PS. Den testeten neben den Ingenieuren auch Taxifahrer, die im harten Alltagseinsatz die Tauglichkeit der Technik beweisen sollten.
Die Mietdroschker waren, so kann man es in den Mercedes-Archiven nachlesen, offenbar von Anfang an begeistert. Sie gaben am Ende den Ausschlag für den Bau des 260 D, der seine Weltpremiere 1936 auf der Automobilausstellung in Berlin feierte. Genau wie heutige Dieselkunden waren sie schon damals vor allem von der Wirtschaftlichkeit der schwarzen Limousine begeistert.
Benziner jener Zeit brauchten 13 bis 14 Liter auf 100 Kilometer. Der Diesel im 260 D dagegen begnügte sich anfangs mit 9,5 und nach einer neuerlichen Überarbeitung sogar mit kaum mehr als neun Litern. Mit dem gleichzeitig nachgerüsteten 50-Liter-Tank waren so mehr als 500 Kilometer möglich. „Zu Zeiten, an denen es nicht an jeder Ecke eine Zapfsäule gab, war die Reichweite ein wichtiges Argument“, sagt Klassik-Spezialist Plag. Aber mehr noch zog der Kostenvorteil: Wer einen Personenbeförderungsschein besaß, zahlte 1936 für den Liter Dieselöl nur 17 Pfennig. Benzin dagegen kostete mehr als das Doppelte.
Preis- und Verbrauchsvorteil fasste Mercedes damals in einem überzeugenden Anzeigenmotiv zusammen: Für das gleiche Geld, mit dem man im Benziner von Berlin nach Paris fahren konnte, war im 260 D noch ein Abstecher nach Mailand drin - das versprach die Werbung.
Für diese Fahrt brauchte es allerdings ein wenig Zeit: Während heutige Selbstzünder mit Dynamik und einem gewaltigen Antritt überzeugen, waren die Fahrleistungen des 260 D eher bescheiden. Und wenn Michael Plag heute mit dem stolze zwei Tonnen schweren 260 D durch die Weinberge im Stuttgarter Umland fährt, geht es immer noch ausgesprochen gemütlich zu: Wo der Wagen früher immerhin 90 km/h schaffte, sind jetzt 70 Sachen das höchste der Gefühle. Und auf steilen Strecken reicht es für kaum mehr als Schrittgeschwindigkeit: „Nur den Schwung nicht verlieren, dann kommt man überall rauf“, ruft Plag in das lärmende Nageln.
Dafür reist es sich bequem in dem alten Gefährt. Statt auf einem Kunstledersessel eingeklemmt zwischen Lenker und Trennscheibe thronen die Insassen auf einem bequemen Velourssofa mit hohen Armlehnen, tiefen Polstern und mehr Beinfreiheit als in einer heutigen S-Klasse. Nur wenn man die Notbank im Fußraum ausklappt und der 260 D zum Achtsitzer wird, wird es etwas enger.
Dass es neben dem geringeren Verbrauch und der hohen Wirtschaftlichkeit vor allem die schiere Unzerstörbarkeit ist, die den Diesel auszeichnet, kann man bereits am Erstling von 1936 sehen. „Dieses Auto ist einfach nicht kaputt zu kriegen“, sagt Mechaniker Plag. Kein Wunder, dass der Vorkriegsdiesel noch lange nach dem Krieg in den Straßen von Berlin unterwegs war und das Museumsfahrzeug mittlerweile mehr als 1,2 Millionen Kilometer auf der Uhr hat. Selbst jahrelanger Stillstand mache dem Motor nichts aus, sagt der Experte: „Man packt eine Batterie rein, glüht vor - und schon läuft er.“