Genial oder zum Gähnen? - Autodesign heute
Genf (dpa/tmn) - Eine markante Front, schmale Scheinwerfer und Seitenlinien mit vorhersehbarem Verlauf - das ist typisch. Beim Autodesign gibt es derzeit wenige Überraschungen, wie auf dem Genfer Autosalon zu sehen ist.
Experten erklären, warum das so ist.
Auf das aktuelle Autodesign wird viel geschimpft. Tenor der Kritiker: Alles Einheitsbrei, was uns die Hersteller vorsetzen. Ob da nun ein Audi A1, ein A3 oder A6 von hinten angerauscht kommt, ist im Rückspiegel kaum zu erkennen. Bei VW sieht das ähnlich aus: Golf, Polo, Passat und Konsorten sind klar auf einer Linie. Und bei Mercedes verrät das Autogesicht auch nicht mehr gleich, ob es sich um eine A- oder C-Klasse handelt. Fehlt es den Autodesignern an Fantasie? „Nein“, sagt Prof. Peter Naumann, Dekan der Fakultät für Design an der Hochschule München. Nur steckten Markt und Marketingstrategien den Kreativen enge Grenzen.
Viele Fahrzeughersteller setzen auf eine Art Wow-Effekt: „Auch die kleinsten Modelle werden maximal aufgewertet - das kann man gut bei Audi oder Mercedes sehen“, erklärt Naumann, der unter anderem auf Automobildesign spezialisiert ist. Oberklasse-Prestige in allen Segmenten, lautet die Devise. Darauf fährt die Kundschaft ab. Die Folge: Es gibt massig Modelle, aber zumindest oberflächlich nur wenige echte Charaktertypen.
Was Ästheten langweilen mag, kann sich für eine Marke bezahlt machen und sie stärken, sagt Naumann - vorausgesetzt, das Einheitsdesign ist in seinen Grundzügen allgemein gefällig und nicht extrem: „Designmerkmale sind Imageträger für eine Marke.“
Andrej Kupetz, Hauptgeschäftsführer beim Rat für Formgebung, bestätigt das: „Erfolgreich waren in der jüngsten Vergangenheit Autobauer, die ihren Modellen ein wiedererkennbares Markengesicht gegeben haben. Hersteller, die viel herumprobiert haben und nicht so konsequent waren, hatten oft weniger Erfolg.“
Ein Patentrezept für gutes Autodesign gebe es zwar nicht, sagt Naumann - doch einige Merkmale seien im Moment schwer angesagt. Im Trend liegen ein markanter, oft monströser Kühlergrill, schmale Scheinwerfer und klar definierte Falten im Blech, nur davon bloß nicht zu viele. „Eine monumentale Fahrzeugfront, die vermittelt: Hier steckt Power hinter, und glatte, proportionale Flächen interessieren viele Autokäufer“, sagt Designexperte Kupetz.
Unter den Neuvorstellungen auf dem Genfer Autosalon findet man leicht passende Beispiele: Mercedes CLA, Lexus IS, Ford Ecosport passen bestens in dieses Schema. Doch Verbraucher goutieren laut Naumann auch ein weniger protziges und stattdessen sehr vernunftsorientiertes Design, wie es allen voran Volkswagen stetig perfektioniert: sachlich, schlicht, zeitlos.
Ihre Erfolgschancen auf dem Massenmarkt verbessern die Hersteller also, wenn sie klare Kante zeigen - auch wenn darunter die Vielfalt leidet. „Beim Autodesign wird meistens zu viel Mut eher bestraft“, stellt Automobilexperte Prof. Ferdinand Dudenhöffer fest. „Denken Sie an den 7er BMW mit dem markanten Heck vor einigen Jahren oder an die viel gescholtenen Spiegeleier-Scheinwerfer beim Porsche 911 des früheren Chefdesigners Harm Lagaay“, führt der Leiter des CAR-Instituts der Universität Duisburg-Essen Beispiele an.
„Design ist einer der wichtigsten Einflussfaktoren beim Autokauf“, erklärt Automobilwirtschaftler Prof. Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Die Hersteller zwinge das auf dem wettbewerbsintensiven Automarkt zu einem Spagat: Sie müssen sich laut Bratzel mit frischen Ideen in möglichst vielen Segmenten hervortun, ohne aber ihren Kundenstamm durch allzu mutiges Design zu vergraulen. „Für eine sehr behutsame Weiterentwicklung des Fahrzeugdesigns steht der VW Golf.“ Die neue Mercedes A-Klasse sei dagegen ein Beispiel für die radikale Neudefinition eines Modells, um jüngere Kunden zu locken, so Bratzel.
„Autodesign ist inzwischen eine sehr eingeschränkte Kunstform geworden“, stellt Nick Margetts vom Marktbeobachter Jato Dynamics fest. „Markenspezifische Stilelemente werden im Laufe der Zeit oft zur ungemütlichen Zwangsjacke für die Designer - nur bei kleineren Serien dürfen sie manchmal noch frei experimentieren.“ Beispiele vom Genfer Salon (7. bis 17. März): der Ferrari-Enzo-Nachfolger LaFerrari, der kantige Lamborghini Veneno und andere Exoten - und als größte Überraschung der Alfa Romeo 4C.
Solche klassischen Karosserieschwünge wie bei diesem Mittelmotor-Coupé bekommt man von der Autoindustrie heute nur noch höchst selten vorgesetzt. Ein Design-Wagnis sind die Leuchten an der schmallippigen Front des 4C: Zwischen den runden LED-Hauptscheinwerfern und den darüber angeordneten runden Blinkern funkeln fünf weitere Mini-LEDs wie Sterne. In der Großserie wäre so etwas undenkbar.
Vergleichsweise viel Freiheit dürfen sich Autodesigner noch bei der Gestaltung besonderer Modellvarianten nehmen. Man denke zum Beispiel an den BMW 3er Gran Turismo mit coupéartiger Dachlinie und sehr ausgewogenen Proportionen. Oder man nehme die vielen auf SUV getrimmten Kleinwagen - frische Exemplare auf dem Genfer Salon sind der Fiat 500L Trekking, der VW Cross Up, die rustikale Cabrio-Studie Opel Adam Rocks und der knubbelige Renault Captur auf Basis des Clio. „Solche Autos zeigen, was eine entfesselte Designergruppe leisten kann“, sagt Marktanalyst Margetts.