Schöne neue Autowelt auf der IAA: Branche vor historischem Umbruch
Das Auto der Zukunft ist vernetzt, und es verschmutzt die Umwelt nicht mehr so stark. Diesen Eindruck will die Branche auf der IAA vermitteln. Mehr noch: Die Vision wird allmählich Realität. Das könnte das Autofahren verändern und die Industrie aufmischen
Frankfurt/Main (dpa) - Gelassen sitzt Daimler-Chef Dieter Zetsche im Fond der neuen S-Klasse - er lässt sich chauffieren, ohne Chauffeur. Der Wagen steuert automatisch, fährt per Autopilot. „Die Vision des autonomen Fahrens wird bei Mercedes-Benz Wirklichkeit“, frohlockt der Autoboss auf der Automesse IAA. Der Branchenverband VDA hat das „Vernetzte Auto“ neben der Elektromobilität zum Hauptthema der Weltleitmesse ausgerufen - und die IAA kurzerhand zum Türöffner für die Zukunft des Automobils.
„2016 werden 210 Millionen "Connected Cars" weltweit auf den Straßen fahren - viermal mehr als heute“, prognostiziert Chef-Lobbyist Matthias Wissmann. Keine Frage: Unter dem Frankfurter Messeturm ist die Industrie in Aufbruchstimmung. Experten sehen Veränderungen, die die Branche in den Grundfesten erschüttern werden. Der Anfang zum intelligenten Auto, das mit anderen kommuniziert, um den Fahrer schneller und sicherer ans Ziel zu bringen, ist gemacht, glaubt Experte Stefan Bratzel: „Wir gehen vom Versuch zur Anwendung auf der Straße. Das vernetzte Auto hat das Potenzial, einen Quantensprung auszulösen. Das ist eine tolle Kombination von mehr Sicherheit und mehr Komfort.“
Die ersten Autos können theoretisch bereits im Stau selbstständig fahren - praktisch gibt es dafür allerdings noch rechtliche Hürden. Für das nächste Jahrzehnt hält die Branche aber sogar auf den Autobahnen das automatisierte Fahren für realistisch, der Fahrer könnte so Büroarbeit erledigen oder schlafen. Auch wenn Konkurrenz von außen durch Unternehmen wie IBM, Apple oder Google droht: Für die deutschen Hersteller, aber auch für Continental oder Bosch ist das eine gute Entwicklung, betont Bratzel: „Sie haben hier die Nase weit vorn.“ Bei alternativen Antrieben hinkten die Deutschen hingegen lange hinterher. Bei Hybriden ist Toyota unangefochten die Nummer eins, bei reinen Stromern sind Renault und Nissan vorne. Erst allmählich starten auch VW, Mercedes oder BMW in die Ära der Elektromobilität. Der Wandel zum Elektroauto schreite unaufhaltsam voran, ist Zetsche überzeugt.
Und Renault-Chef Carlos Ghosn glaubt: „Diese Industrie kann ohne das Elektroauto nicht gedeihen.“ Das zeigt auch die IAA, betont der VDA: „Der Blick der Hersteller geht in die Zukunft. Und die sieht offenbar ziemlich elektrisch aus“. In den elf Messehallen gebe es keinen Stand ohne Elektroautos und alternative Antriebe. Dabei ist das Elektroauto beileibe keine neue Erfindung. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts gab es Stromer. Doch billiges Öl und die fehlende Speichertechnologie halfen dem Verbrennungsmotor. Inzwischen sieht die Lage anders aus. Angesichts des Klimawandels versucht die Politik umzusteuern.
Bis zum Jahr 2020 soll der Kohlendioxidausstoß von Neuwagen in Europa im Flottendurchschnitt bei gerade noch 95 Gramm pro Kilometer liegen. Vor allem für die Oberklassehersteller mit ihren erfolgreichen Geländewagen und Limousinen eine echte Herausforderung - die ohne neue Technik nicht zu schaffen ist. Auch deswegen sind sich Hersteller wie BMW oder Audi einig, dass sie den Strom als Treibstoff brauchen. BMW-Chef Norbert Reithofer etwa macht kein Hehl daraus, dass die strengen Vorgaben nur mit alternativen Antrieben zu erreichen sind.
Technisch sei bei der Weiterentwicklung der Verbrennungsmotoren das Ende der Fahnenstange in Sicht. Den Nobelmarken macht dabei auch ihr eigener Erfolg zu schaffen. Gerade große Geländewagen und schwere Limousinen sind Kundenlieblinge und Ertragsbringer. Hier soll die Hybridtechnik helfen, den Spritverbrauch und den Co2-Ausstoß zu drosseln. BMW wagt sich mit seiner neuen Marke BMWi und dem Elektroauto i3 am weitesten aus der Deckung.
Audi hingegen hat die Projekte für reine E-Fahrzeuge angesichts der weit verbreiteten Ernüchterung nach dem E-Hype der letzten Jahre gestoppt. Bei der VW-Tochter setzt man auf Plug-in-Hybride, also Autos mit zwei Motoren und der Möglichkeit, über die Steckdose geladen zu werden. Angesichts der geringen Reichweite der E-Autos und der dürftigen Ladeinfrastruktur will VW die Kunden nicht verschrecken. „Das Elektroauto darf keine rollende Verzichtserklärung sein“, sagt VW-Boss Martin Winterkorn. BMW bietet für den i3 einen Hilfsmotor, um die Reichweite zu erhöhen. Im Opel Ampera gibt es den Hilfsmotor serienmäßig.