Wenn der Roboter Pause hat - Handarbeit im Autobau
Goodwood/München (dpa/tmn) - Autos werden von Robotern zusammengesetzt und verschweißt. Doch ohne geschulte Mitarbeiter würde kein Auto über die Straßen rollen. Handarbeit ist nach wie vor notwendig.
Mark Court zieht eine feine Linie über das Blech. Akkurat, ohne Zittern. Echte Handarbeit ist im modernen Automobilbau eher selten. Bei Rolls-Royce ist sie selbstverständlich - etwa bei der sogenannten Coachline, der Linie auf dem Seitenblech der britischen Luxusmodelle. Dafür benötigt der Profi in Goodwood vier Stunden, wenn nicht noch ein Monogramm aufgemalt werden muss. Luxus braucht eben seine Zeit, für das Modell Phantom veranschlagen die Briten rund 600 Arbeitsstunden. Zum Vergleich: Der Kleinwagen Ford Fiesta ist in weniger als 15 Stunden fertig.
„Bei der Automobilproduktion wird ein möglichst hoher Automatisierungsgrad angestrebt. Nur so lassen sich bestimmte Herstellverfahren kostenreduzierend einsetzen“, sagt Prof. Frank Herrmann vom Institut für Fahrzeugtechnik der Fachhochschule Köln. Im Karosseriebau liegt der Automatisierungsgrad bei über 90 Prozent.
Auch bei preiswerten Autos setzen die Hersteller aber auf die Hände ihrer Mitarbeiter. Menschen müssen die Maschinen bedienen, warten und die Fahrzeuge am Ende der Produktionsstraße kontrollieren. Dort untersuchen Angestellte unter anderem Lack, Türpassung sowie Spaltmaße und beheben die Fehler sofort. Ein Roboter könnte die Fehler zwar erkennen, aber nicht autonom beseitigen. „Wenn die Produktionsprozesse gut laufen, gibt es wenig Nacharbeit durch Mitarbeiter, also unbeabsichtigte Handarbeit“, erklärt Herrmann.
Bei BMW gibt es im Karosseriebau noch einige manuelle Operationen. Schweißer versehen die Karosserien mit Punkten an Stellen, an die ein Roboter nicht herankommt. Das Abschleifen der Bleche erledigt ein Karosseriebauer genauer als eine Maschine. Auch bei Ford wird nur an Stellen automatisiert, an denen es wirklich sinnvoll ist. Bei ergonomisch schwierigen oder sehr anstrengenden Arbeitsschritten ziehen die Entwickler die Maschinen vor.
Beim Seat Leon, der weitgehend baugleich mit dem VW Golf ist, erledigen etwa 1500 Industrieroboter den Rohbau. Handarbeit gibt es bei den Kompaktmodellen nur noch beim sogenannten Finish, der Oberflächenendbehandlung, und bei Einstellarbeiten an den Blechanbauteilen. Porsche setzt wie fast alle anderen Hersteller bei der Karosseriefertigung aus Prozess-, Sicherheits- und Ergonomiegründen auf Roboter. Die Montage von Anbauteilen wie Vorder- und Heckdeckel erfolgt aber manuell, ebenso wie die Oberflächenqualitätskontrolle.
Wenig Automatisierung und echtes Handwerk gibt es laut Prof. Herrmann nur bei Fahrzeugen mit niedrigen Stückzahlen wie Prototypen, Motorsport-Modellen oder individualisierten Autos, die von der standardisierten Produktion abweichen. Das hat oft weniger mit der Qualität zu tun, als mit den Kosten. Handarbeit ist überall dort günstiger, wo wenig produziert wird.
Bei den firmeneigenen Veredelungsabteilungen wie der BMW M GmbH, Designo (Mercedes) oder der Volkswagen R GmbH dominiert die Handarbeit. So werden in der Mercedes-eigenen Polsterei Sitzbezüge und Stickereien auf Kundenwunsch gefertigt. Beim Rolls-Royce Phantom verschweißen Mitarbeiter sogar immer noch die C-Säule der Karosserie per Hand. Allerdings entstehen von dem Flaggschiff der Briten auch nur rund 800 Exemplare pro Jahr. Es dauert etwa zehn Tage, bis eine Karosse fertig ist. Erst danach darf Mark Court ans edle Blech. Sein Handwerk hat der Rolls-Royce-Zeichner vorher übrigens an anderen Blechen erlernt - er war Maler für Kneipenschilder.