Wo Fahrerassistenzsysteme im Auto an ihre Grenzen stoßen
Bonn (dpa/tmn) - Am Nutzen von Fahrerassistenten besteht kein Zweifel: Sie machen das Autofahren komfortabler und sicherer. Jedoch sollten Fahrzeugbesitzer die Grenzen von Einparkhilfen, Spurverlassenswarnern, Notbremsassistenten und anderen elektronischen Helfern kennen.
Nur für eine Sekunde war der Fahrer im dichten Feierabendverkehr abgelenkt, und schon ist es passiert: Vor einer roten Ampel bohrt sich der Stoßfänger seines Wagens ins Heck des Autos vor ihm. Eine Notbremsfunktion im Fahrzeug hätte einen Unfall wie diesen und den damit verbundenen Ärger wahrscheinlich verhindert. „Moderne Fahrerassistenzsysteme wie der Notbremsassistent oder der Spurverlassenswarner haben den Vorteil, dass sie immer aufmerksam sind“, betont Welf Stankowitz, Referatsleiter Fahrzeugtechnik beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR). So könnten sie in hohem Maße zur Verkehrssicherheit beitragen. Doch Vorsicht: „Auf die Technik ist nicht in jeder Situation Verlass.“
Das weiß auch Hubert Paulus vom ADAC Technik Zentrum. „Obwohl die Vorteile von Fahrerassistenzsystemen heute schon überwiegen, sollten Autofahrer die technischen Schwächen kennen“, betont der Fahrzeugexperte. Die Funktionsgrenzen seien meist in der Bedienungsanleitung des Autos erläutert, „aber da schauen leider die wenigsten hinein“, bedauert er. Beispielhaft klären Paulus und Stankowitz Autofahrer über typische Schwächen der Systeme auf:
ESP: Der Schleuderschutz stabilisiert ein Auto in kritischen Fahrsituationen. „Das System funktioniert aber nur innerhalb der physikalischen Grenzen, wenn also zum Beispiel die Geschwindigkeit beim Einlenken nicht zu hoch ist“, betont Paulus. Ansonsten könne die Fliehkraft das Fahrzeug trotz moderner Technik von der Straße drücken. Das ESP komme auf Rollsplitt, Schnee oder Eis schneller an seine Grenzen als auf trockener und sauberer Fahrbahn. Stankowitz weist darauf hin, dass qualitativ schlechte oder abgefahrene Reifen den Schleuderschutz durch ESP ebenfalls verringern können.
Automatische Abstandsregelung ACC: Wie praktisch, wenn ein mit ACC ausgestatteter Wagen im Stop-and-go-Verkehr von allein Gas gibt und abbremst. Ältere Abstandsregler haben laut Stankowitz aber unter anderem Probleme damit, Motorräder zu erkennen. Auch könnten die Sensoren ein vorausfahrendes Auto in einer engen Kurve aus dem Blick verlieren, was ein ungewolltes Beschleunigen zur Folge habe. „Und wie der Mensch kann auch ACC bei starkem Regen und Schneefall nicht alles sehen. Es schaltet sich dann mit einem Hinweis ab.“
Notbremsassistent: Bei Geschwindigkeiten im Stadtverkehr können kamera- oder radargestützte Notbremsassistenten Auffahrunfälle verhindern oder deren Schwere mindern. „Allerdings reagieren noch nicht alle Systeme auf stehende Hindernisse wie in zweiter Reihe parkende Autos“, warnt der DVR-Experte. Auf nassen, überfrorenen oder abschüssigen Strecken schwäche der längere Bremsweg die Wirkung der Notbremse ab. Und wenn knapp vor dem Auto unvermittelt ein Kind aus einer Reihe parkender Fahrzeuge auf die Straße laufe, sei ein rechtzeitiger Stopp auch mit modernster Technik kaum möglich.
Einparkassistent: Er hilft dem Fahrer mit Warntönen und manchmal auch Videobildern von der Fahrzeugumgebung, das Auto ohne anzuecken in eine Parklücke zu bekommen. Parklenkassistenten übernehmen sogar das Rangieren. Radargestützte Einparkhilfen könnten jedoch leicht Begrenzungssteine, Pfähle oder andere kleinere Hindernisse übersehen, warnt Stankowitz. „Zu Parkremplern kann es auch kommen, wenn die überstehende Ladekante eines Lastwagens nicht erkannt wird, weil sich die Sensorik des Assistenten weiter unten an der Stoßstange des Lasters orientiert.“
Verkehrszeichenerkennung: Sie erfasst mit Kameras unter anderem Tempolimit- und Überholverbotschilder am Straßenrand. Symbole im Cockpit warnen den Fahrer vor Verstößen. Obwohl viele dieser Systeme die Videobilder mit entsprechenden Informationen in den Navi-Karten abgleichen, sind sie fehleranfällig: Schilderbrücken mit variablen LED-Anzeigen werden laut Paulus noch nicht zuverlässig erkannt, dasselbe gelte für Ortseingangsschilder, die 50 km/h vorschreiben. Auch können Nebel, Regen und verschmutzte Verkehrszeichen Probleme machen - oder ungünstig platzierte Schilder: „Es kommt vor, dass Tempolimits in Autobahnausfahrten fälschlicherweise von Fahrzeugen registriert werden, die weiter auf der Autobahn fahren“, sagt Stankowitz.
Spurverlassenswarner: Dieses System soll den Autofahrer davor bewahren, von der Fahrbahn abzukommen, braucht dazu aber Markierungen wie Mittel- und Randstreifen zur Orientierung. Sind diese verblasst, mit Laub oder Schnee bedeckt oder gar nicht vorhanden, wie es auf vielen Kreis- und Landstraßen der Fall ist, können Assistenten zur Spurhaltung nichts bewirken: „Dann bleiben die Vibrationswarnung im Lenkrad oder ein Gegenlenkimpuls aus, bevor der Fahrer von der Straße abkommt oder unbemerkt auf die Gegenspur gerät“, erläutert Paulus. Ungünstige Sonneneinstrahlung kann die Kameras zur Spurüberwachung blenden, ergänzt Stankowitz.
Totwinkelassistent: Wenn sich beim Spurwechsel oder Abbiegen ein anderer Verkehrsteilnehmer von hinten nähert, schlägt dieser elektronische Helfer Alarm. „Oft blinkt dazu aber nur ein Warnsymbol in den Außenspiegeln auf, das bei starker Sonne übersehen werden kann“, berichtet Paulus. „Besser sind Totwinkelwarner, die den Fahrer akustisch oder haptisch auf eine Gefahr aufmerksam machen, etwa wenn der Blinker gesetzt wird.“ Das größere Manko: Einige Systeme können Motorrad- und Fahrradfahrer nicht in jeder Situation erkennen.
Müdigkeitswarner: Sekundenschlaf ist dem DVR zufolge die Ursache für etwa jeden vierten tödlichen Autobahnunfall. Assistenten, die Autofahrer vor dem Einnicken bewahren, sind also sinnvoll. Nach Erkenntnissen des ADAC funktioniert auch diese Technik noch nicht zuverlässig genug. Die Warnsysteme erfassen und deuten verschiedene Anzeichen fürs Einschlafen, dazu zählen Lenkrad- und Fahrbewegungen sowie die Kopfhaltung des Fahrers. „Spurverlassens- und Kollisionswarner erfüllen aber auch schon diese Anforderungen und bieten einen ähnlichen Schutz wie Müdigkeitswarner“, sagt Paulus.
Lichtautomatik: Sie aktiviert bei Dunkelheit das Abblendlicht. „Die Sensoren reagieren aber nicht verlässlich auf Nebel“, kritisiert der ADAC-Mann. Dann muss das Abblendlicht von Hand eingeschaltet werden - wer an die Automatik gewöhnt ist, könnte das vergessen.
Fernlichtassistent: Diese erweiterte Funktion der Lichtautomatik aktiviert bei Dunkelheit das Fernlicht, wann immer dies möglich ist, und verbessert so die Sicht. „Allerdings blendet der Wagen in manchen Fällen früher ab, als es der Fahrer tun würde, weil sich dieser noch einen Moment länger orientieren muss“, nennt Paulus einen Nachteil. Die Abblendautomatik reagiert auf die Beleuchtung vorausfahrender oder entgegenkommender Fahrzeuge.
Nachtsichtassistent: Per Wärmebild- oder Infrarotkamera bilden Nachtsichtsysteme das Vorfeld des Fahrzeugs schemenhaft ab, neuere Assistenten weisen auch auf Personen hin. Allerdings ist das nach Ansicht des ADAC nur sinnvoll, wenn in Gefahrensituationen die Warnungen per Head-up-Display im Sichtfeld des Fahrers auf der Frontscheibe angezeigt werden, da sonst der Blick von der Straße zu einem Monitor abgewandt werden muss.
Obwohl Fahrerassistenzsysteme noch nicht in allen Situationen optimal funktionieren, sind Verkehrsexperten wie Paulus und Stankowitz davon überzeugt, dass sie das Autofahren komfortabler und sicherer machen, solange sich der Mensch am Steuer nicht blind auf die Systeme verlässt. Die meisten Autofahrer in Deutschland sehen das genauso, wie eine Umfrage der Prüforganisation Dekra ergab. Demnach sind 78 Prozent von den Vorteilen überzeugt. Gut ein Viertel der 1700 Befragten gab an, dass die moderne Technik sie schon einmal in gefährlichen Situationen oder bei einem Unfall vor Schlimmerem bewahrt habe.