Zehn Prozent mehr Verkehrstote - Ausreißer oder Trendwende?
Wiesbaden (dpa) - Mehr Todesopfer auf den Straßen, zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten. Ist das ein Ausreißer nach oben oder eine Trendwende? Welche Rolle spielt das Wetter?
Erstmals seit 20 Jahren ist die Zahl der Verkehrstoten wieder gestiegen, aber von einer Trendwende wollen Experten nicht sprechen. Ausflugswetter könnte die Zahl der schweren Unfälle nach oben getrieben haben. Auf deutschen Straßen kamen im vergangenen Jahr 4009 Menschen ums Leben, fast zehn Prozent mehr als im Jahr davor. Damit ist die Zahl der tödlich Verunglückten noch stärker gestiegen als zu Beginn des Jahres geschätzt, aber sie ist nach Angaben des Statistischen Bundesamts immer noch die zweitniedrigste seit Beginn der Statistik.
Der Straßenverkehr habe 2011 im Schnitt jeden Tag elf Menschen das Leben gekostet, berichtete das Bundesamt in Wiesbaden am Freitag. Auch die Zahl der Verletzten erhöhte sich: Es gab gut zehn Prozent mehr Schwerverletzte und fast fünf Prozent mehr Leichtverletzte.
Die Deutsche Verkehrswacht sieht in dem Anstieg ein alarmierendes Signal. „Dass der seit 20 Jahren andauernde Trend sinkender Verkehrstotenzahlen unterbrochen wurde, macht deutlich, dass dieser Trend nach unten keine Selbstverständlichkeit ist“, sagte der Verkehrswacht-Präsident und ehemalige Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig. Er forderte bessere Verkehrserziehung, schon für Kinder im Vorschulalter.
Seit 1991 war die Zahl der Verkehrstoten stetig gesunken, damals starben noch 11 300 Menschen im Straßenverkehr. Die höchste Zahl wurde vor über 40 Jahren ermittelt: 1970 kamen mehr als 21 000 Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben.
Die meisten Opfer (fast 61 Prozent) starben 2011 auf Landstraßen. „Die Landstraßen sind das Sorgenkind im Straßennetz“, sagte ADAC-Sprecher Andreas Hölzel. Vielerorts gebe es noch gefährliche Kreuzungen, Engstellen oder fehlende Leitplanken. „Auch die Fahrzeugsicherheit ist noch nicht am Ende angelangt.“
Das Wetter hat nach Einschätzung der Statistiker einen Beitrag zum Anstieg der Zahlen geleistet: 2011 war der Winter mild, das Frühjahr trocken und der Herbst sonnig. Bei solchen Verhältnissen wird erfahrungsgemäß mehr und schneller gefahren. 2010 sah mit einen langem Winter mit viel Schnee und Eis anders aus. Die Zahl der Verkehrstoten hatte damals mit 3648 den tiefsten Stand seit Beginn der Statistik erreicht.
„Das Wetter ist sicher ein Faktor“, bestätigte Hölzel. Bei schönem Wetter seien mehr Fußgänger und Motorradfahrer unterwegs als sonst. Das könnte ein Grund dafür sein, dass die Zahl der getöteten Fußgänger überdurchschnittlich um 29 Prozent auf 614 und die der Motorradfahrer und -beifahrer um 11,5 Prozent auf 708 stieg.
Möglicherweise hängt damit auch die häufigste Ursache für schwere Unfälle zusammen: An erster Stelle standen nämlich diesmal Manöver wie Abbiegen, Wenden oder Rückwärtsfahren, gefolgt von der Missachtung der Vorfahrt. Zu schnelles Fahren stand 2011 jedenfalls erst an dritter Stelle der Ursachenstatistik, in den Vorjahren war das oft der Hauptgrund für Unfälle.
Der Anstieg ist nach einhelliger Meinung ein Ausreißer nach oben, langfristig wird mit einem weiteren Rückgang gerechnet. „Der Trend geht sicher weiter nach unten“, sagte ADAC-Sprecher Hölzel. Nach einer Prognose der Bundesanstalt für Straßenwesen wird es 2020 noch 2500 Verkehrstote in Deutschland geben, das wäre eine Halbierung der Zahl seit 2006.
Der Auto Club Europa (ACE) sieht einen Rückgang vor allem in den Städten voraus: Dort verliere der motorisierte Individualverkehr an Fahrt, mehr Ältere werden am Steuer sitzen. „Wir werden die Langsamkeit neu entdecken“, sagte ACE-Sprecher Rainer Hillgärtner. Schon die hohe Fahrzeugdichte werde automatisch dazu führen, dass das Tempo und damit auch die Zahl der schweren Unfälle sinkt.
Handlungsbedarf sieht der ACE aber bei der Sicherheit, etwa bei Multimedia in den Autos. Fahrer würden davon allzu häufig abgelenkt. „Muss Adresseneingabe während der Fahrt sein?“, fragte Hillgärtner. Das könne technisch verhindert werden. Von der Politik fordert der ACE mehr Investitionen in intelligente Infrastruktur. Da dürfe nicht gespart werden.