Zu kostbar zum Fahren - Wenn Autoklassiker zum Kunstobjekt werden

Essen (dpa/tmn) - In den 1930er Jahren entstanden für viele Oldtimerfans die schönsten Autos. Heute wirken die Schmuckstücke aus dem Zeitalter der Karosserie-Manufakturen mit ihren barocken Formen wie Skulpturen.

Die wertvollen Klassiker zu fahren, braucht gewissen Mut.

11,8 Millionen US-Dollar. Diese Summe hat ein Sammler im vergangenen Jahr bei einer Auktion für einen Mercedes 540 K Spezial Roadster von 1936 hingeblättert - den höchsten Preis, den ein Auto dieser Marke je bei einer Versteigerung erzielt hat. Ob sich der neue Besitzer mit dem Roadster schon auf eine öffentliche Straße getraut hat?

Zweifel sind angebracht - bei aller Verlockung. Zwar möchte der richtige Oldtimerfan sein Auto auch fahren, sagt Peter Schneider, Präsident des Bundesverbands für Clubs klassischer Fahrzeuge (Deuvet). Doch nach einem Unfall wäre ein Stückchen Originalität dahin - wenngleich Restauratoren vieles wieder richten können.

Wenn der Wert seltener Autos in exorbitante Höhe schnellt, kommt dies in vielen Fällen einer Zweckentfremdung gleich. Oft verschwindet das ehrwürdige Blech in einer Sammlung und wird allenfalls noch ab und an auf einem Anhänger zu einem Concours d’Élegance gekarrt. Fahren? Fehlanzeige. „Ich habe noch keines der absolut hochpreisigen Fahrzeuge bei einer Ausfahrt gesehen, das sind oft nur Schauobjekte“, sagt Schneider.

Ob er sich mit seinem Klassiker in dichten Verkehr stürzt, dürfte sich auch der Besitzer des Talbot Lago T 150 C Teardrop Coupé vom Baujahr 1938 gut überlegen. Das Fahrzeug mit einer Karosserie von Figoni et Falaschi ist ein Unikat - zu sehen auf der Oldtimermesse Techno Classica (10. bis 14. April) in Essen. Unter dem Titel „Automobile Masterpieces“ hat der Veranstalter Siha elf Einzelstücke aus den 1930er Jahren zusammengetragen - aus Museen und von Privatsammlern.

„Ab rund 1,5 Millionen Euro sind die gezeigten Oldtimer wert“, sagt Siha-Projektleiter Eduard Michel Franssen, der dem Talbot mit den galant langgezogenen vorderen Kotflügeln eine „wunderschöne Tropfenkarosserie“ attestiert. 16 Exemplare wurden als „Goutte d'Eau Coupé“ (Wassertropfen-Coupé) gefertigt - das gezeigte ist das einzige mit langem Radstand.

Für viele Oldtimerfreunde sind in den 1930er Jahren die schönsten Autos überhaupt entstanden. „In dem Jahrzehnt ist das Design in den Vordergrund getreten“, sagt Deuvet-Präsident Schneider. Die Karosserie wurde zum Unterscheidungsmerkmal im Straßenverkehr. Ohnehin schon schöne Autos von Luxusherstellern wie Maybach oder Bugatti wurden mit individuellen Karosserien versehen. Kunst und Design hielten Einzug in den Automobilbau, so der Messeveranstalter.

Wie ein Kunstwerk mag auch der in Essen gezeigte Bugatti 57 C mit Gangloff-Karosserie wirken. Der Roadster mit verkleideten Hinterrädern wurde 1939 gebaut, 2010 gewann er unter anderem den Concours bei der 2. Schloss Bensberg Classic. Dass die automobilen Schmuckstücke auch für den Renneinsatz gedacht sein konnten, belegt neben dem Talbot Lago T 150 C, der 1948 beim 24-Stunden-Rennen von Spa antrat, der Delage D6-70 von 1936. Der von Joseph Figoni eingekleidete Wagen mit der geschlossenen Rennsportkarosserie wurde mit seinem 74 kW/100 PS starken Drei-Liter-Sechszylinder für das Rennen in Le Mans gefertigt.

Zu den laut dem Techno-Classica-Veranstalter „elegantesten und schönsten Designerkreationen aus der Hochzeit des Karosseriebaus“ gehört auch ein Mercedes-Benz 500 K Roadster mit Sindelfinger Werkskarosserie aus der Mitte der 30er Jahre und ein offener Peugeot 402 von 1937 aus dem Hause Pourtout, den einst ein Graf als Spezialanfertigung bestellte.

Dass Preziosen wie diese überhaupt entstanden, hat auch einen technischen Grund: Die Karosserie-Manufakturen hatten großen Gestaltungsspielraum, denn Bodengruppe und Karosserie waren bei den damaligen Autos meist noch getrennt. „Auf diese Chassis konnte man wunderschöne Karosserien bauen“, sagt Siha-Pressesprecher Johannes Hübner. Erst die nach dem Krieg aufkommende selbstragende Karosserie wies die Designer wieder in ihre Grenzen. Vielen der Carosseriers war damit buchstäblich ihre Existenzgrundlage genommen.

Doch Ausnahmen bestätigen die Regel: 1946 wurde auf der Motor Show in Paris ein Stromlinien-Coupé präsentiert, das trotz seiner Eleganz ein wenig von gestern wirkte. Beim Delahaye 135 MS Coupé orientierten sich die Designer der Manufaktur Pourtout an Vorkriegsentwürfen eines früheren Mitarbeiters.

Wenn Autos quasi zum Kunstwerk werden, hat das auch Auswirkungen auf die Kfz-Versicherung. Unikate mit Millionenwert werden bei den Gesellschaften oft wie eine teure Geige oder ein Gemälde behandelt. Claudia Hermann vom Versicherungsunternehmen Allianz sagt: „Neben der klassischen Oldtimer-Versicherung bieten wir in solchen Fällen auf Anfrage auch eine Werteversicherung wie bei Kunst oder Antiquitäten an.“