Zweirad-Mythos „made in Italy“: Kultroller Vespa wird 70
Rom (dpa) - Irgendetwas an ihren Rundungen und Kurven, an der Wespentaille und dem unverwechselbaren Design ruft beim Anblick einer Vespa noch immer nostalgische Erinnerungen an die Nachkriegszeit wach.
Es waren die wilden 50er, die Mädels bezirzten die Männer in schwingenden Petticoats und Röhrenhosen, Elvis Presley und Bill Haley rockten aus Kofferradios - und ein alles überstrahlendes Gefühl von Freiheit bahnte sich seinen Weg von den Alpen bis nach Sizilien.
Jetzt feiert die Vespa ihren 70. Geburtstag. „Wir definieren die Vespa als eine „jung gebliebene 70-Jährige“, die noch Jahrzehnte voll großer Veränderungen und Revolutionen vor sich hat“, sagt Davide Zanolini, Sprecher der Gruppe Piaggio, in deren Werk im toskanischen Pontedera der Mythos 1946 geboren wurde. Heute gehört der Roller genauso zu Italien wie Pizza, Pasta und Pompeji.
Aber nicht nur in seiner Heimat ist das schnittige Zweirad ein Hit - 18 Millionen Exemplare in 150 Modellen sind bis heute in alle Welt ausgeschwärmt. Die Fans des Evergreens sind nicht nur solche, die die Zeit der Petticoats noch persönlich erlebt haben, sondern auch ihre Kinder und Enkel. „Es passiert oft, dass eine Vespa vom Vater an den Sohn weitergegeben und so gut gepflegt wird, dass sie viel länger überlebt, als es für ein Fahrzeug normal wäre“, erklärt Zanolini. „So wird sie zum Kultobjekt, zum wahren Sammlerstück.“
Begonnen hatte die Erfolgsstory, als das Flugzeugwerk Piaggio nach dem Zweiten Weltkrieg ein erdverbundenes Standbein suchte. Unternehmenschef Enrico Piaggio erkannte, was die Masse der Bevölkerung, die sich kein Auto leisten konnte, brauchte: ein einfaches, aber motorisiertes Fortbewegungsmittel für zwei Personen.
Zunächst entstand ein Prototyp mit dem Namen MP 5. Die Form war so seltsam, dass der Roller den Spitznamen „Paperino“ (Donald Duck) bekam. „Nicht alle wissen, dass die Vespa eine Art Papa hatte“, sagt Zanolini. „Aber der gefiel Enrico Piaggio nicht, und so beauftragte er den Luftfahrtingenieur und Erfinder Corradino d'Ascanio damit, nochmal Hand anzulegen.“
Der war eigentlich kein Freund von Motorrädern, fand sie unbequem, sperrig, mit Reifen, die nur schwer zu wechseln waren und Ketten, die die Hosenbeine einölten. Also entwickelte Corradino einen Roller mit einem 125 ccm-Zweitaktmotor und selbsttragender Karosserie. Damit war der Motorroller leichter als herkömmliche Zweiräder. Durch den Direktantrieb am Hinterrad musste niemals eine Kette geschmiert werden - und der freie Durchstieg vor dem Sitz war nicht nur bequem, man konnte darin auch mal einen Sack Äpfel transportieren.
Breites Hinterteil, schmale Taille: „Die MP 6 schaut aus wie eine Wespe (Italienisch: Vespa)!“, rief Piaggio begeistert. Der Name einer Legende war geboren - und wurde am 23. April 1964 zum Patent angemeldet.
Wenige Jahre später brausten Audrey Hepburn und Gregory Peck in dem Erfolgsstreifen „Ein Herz und eine Krone“ auf einer Vespa durch Rom - Fotos dieser unvergesslichen Spritztour aus dem Jahr 1953 zieren bis heute in Italien Kalender und Postkarten. Es sollten noch viele Filme folgen, in denen der Roller prominent auftaucht, von der Rockoper „Quadrophenia“ über „American Graffiti“ bis zu „Der talentierte Mr. Ripley“. Diven wie Joan Collins, Jayne Mansfield und Nicole Kidman wurden im Film oder am Set am Vespa-Lenker gesichtet.
Die Vespa feierte auch Rekorde: 1952 baute der Franzose Georges Monneret eine „Vespa Anfibia“ für das Rennen Paris-London und durchquerte mit ihr erfolgreich den Ärmelkanal. Spezial-Vespas erzielten später Spitzengeschwindigkeiten von mehr als 170 Kilometern pro Stunde. Abenteurer fuhren durch afrikanische Wüsten oder von Europa nach Grönland oder Indien oder Vietnam. Einer, der Australier Geoff Dean, ist sogar einmal um die Welt gerollt.
Das Geburtstagswochenende wird in Pontedera mit Fans aus aller Welt gefeiert. Viele gehören den legendären Vespa-Clubs an, die sich bereits kurz nach der Entstehung der ersten Roller formiert hatten. Fahrten in die nähere Umgebung, nach Pisa und in die Hügel von Valdera, sind ebenso geplant wie eine feierliche Parade und die Einweihung einer Ausstellung. Grund zum Feiern gibt es: Nach einer kleinen Flaute konnte Piaggio die Produktionszahl mit den Werken in Pontedera, Vietnam und Indien von 2005 bis 2015 auf 170 000 Stück verdreifachen. „Die Vespa erlebt gerade einen der besten Momente ihrer Geschichte“, sagt Zanolini.