Analyse: E-Book-Revolutionär Amazon fordert Verlage heraus
Berlin (dpa) - Seit Johannes Gutenberg den modernen Buchdruck erfand, blieb trotz allen Fortschritts eines über 500 Jahre lang unverändert: Bücher wurden auf Papier gedruckt.
Sie mussten hergestellt, gelagert, transportiert, verkauft werden. Das Internet sorgte zunächst dafür, dass der Buchladen in dieser Kette verzichtbar wurde. Dann lösten E-Books die Geschichten aus ihrer Papierhülle: Die digitalen Bücher nehmen keinen Platz ein und können in sekundenschnelle auf Lesegeräte geladen werden.
Der US-Konzern Amazon, der erst den Online-Handel und später mit seinen Kindle-Lesegeräten den E-Book-Boom mitbefeuerte, sieht mit dieser Revolution eine neue Ära für den Literaturbetrieb angebrochen und legt sich immer schärfer mit der Verlagsbranche an. Autoren und Leser werden in den Konflikt hineingezogen.
Der Streit erreichte seinen Höhepunkt in den USA: Amazon setzte dort die Verlagsgruppe Hachette in Verhandlungen über einen neuen Vertriebsdeal auf breiter Front unter Druck. Für gedruckte Bücher aus dem Hause Hachette gab es bei Amazon plötzlich lange Lieferzeiten, Neuerscheinungen konnten nicht mehr vorbestellt werden, Kunden wurden in der Zwischenzeit Autoren anderer Verlage empfohlen.
Amazon will unter anderem niedrigere Preise für E-Books erreichen - und schlägt auch eine neue Aufteilung der Einnahmen vor: Jeweils 35 Prozent für Autor und Verlag, 30 Prozent für den Online-Händler.
Dem Protest gegen die Methoden von Amazon schließen sich unterdessen immer mehr Schriftsteller auch in Deutschland an. Einen offenen Brief unterzeichneten nach Angaben der Schriftstellervereinigung PEN-Zentrum Deutschland weit über 1000 Autorinnen und Autoren.
Über den Preis von digitalen Büchern streitet Amazon von Anfang an mit den Verlagen. Der Online-Händler beharrte auf 9,99 Dollar als Marke, während die Buchbranche eine deutlich schmalere Differenz zum Preis gedruckter Bücher durchsetzen wollte. Mit Blick auf den Niedergang der Musikindustrie wollten die Verlage auf keinen Fall zulassen, dass Bücher in der Wahrnehmung der Kunden zu einem Billigprodukt werden.
Amazons Gegenargument: Die Zeiten haben sich geändert. „Wir denken an Bücher auf eine praktische Weise: Wie kann ich ein Buch gegen andere Formen der Unterhaltung konkurrenzfähig machen?“, sagt David Naggar, der in Amazons Kindle-Geschäft für die Literatur-Inhalte zuständig ist. „Die Menschen haben eine gigantische Auswahl: Hunderte Fernsehkanäle, Video auf Abruf, tausende Spiele, Nachrichten im Internet.“ Da habe man schon gewonnen, wenn die Leute an Bücher denken.
Der New Yorker Naggar verbrachte praktisch seine gesamte Karriere vor dem Job bei Amazon in der Verlagsbranche, davon 16 Jahre bei der amerikanischen Bertelsmann-Tochter Random House. Seine Mutter ist Literaturagentin, als Teenager habe er mit dem Skateboard Manuskripte an Verlage ausgeliefert. Naggar verantwortet auch Amazons Gegenentwurf zur klassischen Verlagswelt: Die Plattform Kindle Direct Publishing, bei der Schriftsteller ihre Bücher in Eigenregie veröffentlichen können. Die Plattform demokratisiere die Industrie: „Wir öffnen jedem Schriftsteller einen direkten Zugang zum Leser“, sagt Naggar. Amazon behält vom Verkaufspreis 30 Prozent ein, der Rest bleibt beim Autor.
Das sind Konditionen, die man als Schriftsteller ohne großen Namen bei einem Verlag nie bekommen würde. Allerdings muss sich der Autor auch selbst um Werbung und Marketing kümmern. Zudem sieht der Präsident der deutschen Schriftsteller-Vereinigung PEN, Josef Haslinger, ein Image-Problem. „Man ist von vornherein in einem relativ amateurhaften Ambiente gelandet. Zwar kommt man leicht zu einer Veröffentlichung, aber man wird von der seriösen Buchkritik nicht beachtet“, sagte der Autor in einem dpa-Interview. Das könne einem Abstellgleis gleichkommen.
Innerhalb der Amazon-Welt funktioniert das System aber. In den USA stamme ein Drittel der Kindle-Bestseller aus der Direkt-Plattform, in Deutschland sogar die Hälfte der Titel, sagt Naggar. „Wir haben für Schriftsteller eine Alternative zum bisherigen System geschaffen.“ Dass solche Bücher günstiger seien, reiche nicht als Erklärung: „Wenn sich ein Buch kontinuierlich gut verkauft, kann es nicht nur am Preis liegen, das ist unmöglich.“
In Deutschland ist allerdings der Hebel für Amazon mit seinem E-Book-Geschäft noch relativ gering. Nach Zahlen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels wurden im vergangenen Jahr knapp 85 Prozent der Umsätze mit gedruckten Büchern gemacht. E-Books steuerten erst knapp sieben Prozent der Erlöse im Buchgeschäft bei. Allerdings ist die Dynamik auf ihrer Seite: Die Umsätze stiegen um über drei Prozent, während das Geschäft mit gedruckten Büchern um 2,7 Prozent schrumpfte. Und eine weitere Zahl aus der Schnellumfrage des Börsenvereins lässt die E-Books für die Verlage attraktiver aussehen: Die Herstellung von Büchern ist mit einem Viertel der Kosten der größte Ausgaben-Posten.