Analyse: Türkei gegen Twitter: Soziale Netzwerke unter Druck
Berlin (dpa) - Auf dem Höhepunkt des Arabischen Frühlings war der Jubel groß. Bürger in Tunesien und Ägypten hatten ihre Machthaber aus dem Amt gedrängt, organisiert auch über soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter.
„The revolution will be tweeted“ (Die Revolution wird getwittert), frohlockten sie.
Eine neue Protestbewegung sollte mit Hilfe des Internets autoritären Machthabern das Leben schwer machen. Über Online-Netzwerke können Proteste organisiert und Nachrichten in Windeseile verbreitet werden.
Mittlerweile blasen mehrere Staaten zum Gegenangriff. Die Türkei blockierte am Freitag den Kurznachrichtendienst Twitter, der für Gegner des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan ein wichtiger Kommunikationskanal ist. Auch andere Länder schränken die Internetnutzung ihrer Bürger ein - oder kontrollieren jeden Klick und jede Kommunikation im Netz.
„Die tunesische und ägyptische Regierung sind ein bisschen überrascht worden von der Macht der sozialen Medien“, sagt Netzaktivist Markus Beckedahl. Die Netzwerke hätten dazu beigetragen, viele Menschen gleichzeitig für Proteste zu mobilisieren. „Viele andere repressive Staaten haben sich das sehr genau angeschaut und sehr schnell die notwendigen Gegenmaßnahmen getroffen.“
Manche Länder gehen dabei deutlich schärfer vor als die Türkei. Russland, der Iran, China oder Turkmenistan blockierten viele Webseiten, sagt Christian Mihr von der Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen (RoG). Der Iran überwache das Netz zudem massiv. Internetnutzung kann dort eine Gefahr für Journalisten und Blogger werden. „Im Iran gibt es Fälle, wo Menschen nur für das Lesen einer Nachrichtenseite inhaftiert wurden“, sagt Mihr.
Versierte Internetnutzer können die Sperren auf technischem Wege umgehen, etwa durch VPN-Zugänge oder das Anonymisierungsnetz TOR. Mihr spricht von einem Katz-und-Maus-Spiel. Die Entwicklung offenbart auch die dunkle Seite der blitzschnellen Netzkommunikation. „Einerseits hat das Internet die Proteste schneller möglich gemacht, aber es hat auch die Unterdrückung von Protesten und die Unterdrückung von Berichterstattung erleichtert“, sagt Mihr.
Denn oft sind die Online-Netzwerke ein wichtiger Kommunikationsweg nach außen. Das sei besonders im Bürgerkrieg in Syrien zu beobachten, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Kathrin Voss. Viele Bilder aus dem Konflikt stammten von Aktivisten oder Regimeanhängern vor Ort, die ihre Aufnahmen über das Internet verbreiten. Die Online-Netzwerke sorgten auch für die Verbindung zur Opposition im Ausland. Innerhalb von Syrien oder Ägypten würden Twitter oder Facebook dagegen eher von einer technisch versierten Elite genutzt.
Voss bezweifelt, dass die Türkei mit der Twitter-Sperre Erfolg haben wird. „Ich bin mir nicht sicher, ob das etwas bringt“, sagt sie. Der Schaden dagegen sei groß: „Die Außenwirkung ist ja verheerend.“