Betriebssystem Linux: Unsichtbar, aber allgegenwärtig
Berlin (dpa) - Das freie Betriebssystem Linux steuert die TV-Bedienung, treibt Smartphones an und ist für die Flugsicherung im Einsatz. Experten sprechen von einer „ganz großen Erfolgsstory“. Diese setzt sich auch bei Smartphones und Tablets fort - in der Gestalt eines Roboters.
Die Grundidee der freien Software-Projekte mit dem Pinguin als Symbolfigur ist einfach: Der Quellcode (Source Code) von Software darf kein Betriebsgeheimnis sein, sondern wird allen offen zugänglich gemacht, die sich dafür interessieren. Dann kann jeder den Code verbessern, ergänzen und wieder für die Community bereitstellen, also für die Gemeinschaft aller Entwickler. Es hat sich gezeigt, dass auf diese Weise Fehler schneller entdeckt und Innovationen eher verwirklicht werden als im geschlossenen Gefüge einer Firmenhierarchie.
Die Entwicklung ist offen und für alle nachvollziehbar. Auf die gleiche Weise wie beim Start von Linux vor nahezu 20 Jahren gab jetzt der finnisch-amerikanische Initiator Linus Torvalds bekannt, dass die voraussichtlich letzte Vorabversion des Linux-Kernels 2.6.39 fertig ist: „Bitte testet das, um sicherzustellen, dass die 39er Finalversion auch gut ist!“
Beim LinuxTag auf dem Messegelände in Berlin präsentieren diesmal 77 freie Projekte und 43 kommerzielle Aussteller ihre Entwicklungen. Auf der Basis des Linux-Kernels werden umfangreiche Pakete mit Programmen für eine Vielzahl von Anwendungen geschmiedet. Eine dieser sogenannten Distributionen ist openSUSE 11.4 - dieses Projekt steht in enger Beziehung zum kommerziellen Software-Unternehmen Novell.
„Wir wollen noch mehr Software-Entwickler und -Nutzer einladen, mit uns zusammenzuarbeiten“, sagt Novell-Manager Holger Dyroff. Linux sei „eine ganz große Erfolgsstory“. Und diese sei noch lange nicht beendet. „In 20 Jahren werden wir dann an dem Punkt angekommen sein, wo wir 60 bis 70 Prozent aller Server, die neu ausgeliefert werden, mit Linux betreiben“ - heute seien es weltweit etwa 30 Prozent.
Linux ist allgegenwärtig, bleibt aber meist unsichtbar. Wenn man im Browser eine Webseite aufruft, gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Daten von einem Server mit Linux und der Software Apache ausgeliefert werden: In diesem Monat hat Apache nach Messungen der Analysefirma Netcraft einen Marktanteil von 57,5 Prozent. Bei der Deutschen Flugsicherung nutzen die Radarstationen nach Angaben Dyroffs das System Suse Linux Enterprise Server. Und jeden Abend schalten Fernsehzuschauer ihr Linux ein - das freie Betriebssystem ist die Software-Basis moderner Receiver und Set-Top-Boxen.
Die womöglich größte Verbreitung steht Linux aber wohl auf Smartphones und Tablet-Computern bevor: Das Google-System Android beruht auf dem Linux-Kernel 2.6 und ist selbst auch freie Software. Der Erfolg von des Systems mit dem grünen Roboter als Logo zeige, dass „das kollaborative Entwicklungsmodell“, also die Zusammenarbeit von vielen Experten, für Software-Innovationen besonders sinnvoll sei, sagt Dyroff.
Android könnte auch dazu beitragen, die deutliche Lücke zu schließen, bei der Linux bislang kaum in Erscheinung tritt: Der Desktop-Computer ist Windows-Domäne. Aber mit dem Erfolg der Tablet-Computer verschieben sich die Gewichte. Und abgesehen vom iPad setzen die meisten bereits eingeführten oder angekündigten Tablet-Computer auf Android. „Dann wird es gar nicht mehr so wichtig sein, auf dem klassischen PC zu landen“, sagt Nils Magnus, Gründer des LinuxTags. Zum Einfallstor für Linux auf Notebooks könnte das Google-System Chrome OS werden - hier gibt es nur noch ein ganz schlankes Betriebssystem mit einem Browser und Anwendungen in der „Cloud“, also im Netz.
Linux ist etabliert. Den alternativen Geist hat sich die Szene aber bewahrt. „Unser Projekt ist Ausdruck unseres selbstbestimmten Lebens“, sagt Ferdinand Thommes vom Debian-Ableger aptosid. „Uns ist wichtig, dass uns niemand hineinreden kann.“ Und der LinuxTag fordert die mehr als 10 000 erwarteten Besucher auf: „Open your code, open your heart“ - nicht nur der Quellcode soll offen sein, sondern auch das Herz, offen für eine weniger egoistische Vision des gesellschaftlichen Zusammenlebens.