„Lex Google“ lässt Google unbeeindruckt
Berlin (dpa) - Die Aufregung im Internet war groß, doch die Gruppe der Demonstranten vor dem Brandenburger Tor war am Freitag überschaubar.
Etwa zwanzig Menschen waren bei ungemütlicher Kälte auf den Pariser Platz gekommen, um gegen das Leistungsschutzrecht für Presseverleger zu protestieren. „Unser Anwalt klärt, ob wir das bloggen dürfen“, stand auf ihren Schildern, oder auch schlicht „Häh?“.
Doch nicht nur die Gegner des Leistungsschutzrechts (LSR) vor dem Brandenburger Tor hatten Schwierigkeiten, die Massen für ihr Thema zu mobilisieren. Auch die Opposition in Bundestag schaffte es nicht, ihre Abgeordneten vollständig in den Reichstag zu bewegen. „Wären SPD und Grüne vollzählig gewesen, dann hätten wir jetzt kein #lsr“, twitterte der CDU-Abgeordnete Peter Tauber, der zusammen mit seiner Fraktionskollegin Dorothee Bär (CSU) gegen das Gesetz votiert hatte.
Da aber 18 Prozent der Oppositionsabgeordneten nicht am Platz waren, verabschiedete die schwarz-gelbe Koalition ihr Gesetzeswerk im Bundestag - trotz vier weiterer Gegenstimmen aus der FDP sowie zwei Enthaltungen aus der Unionsfraktion. Es waren vor allem jüngere Netzpolitiker der Koalition, die sich öffentlich gegen die Vorlage von Schwarz-Gelb gestellt hatten.
Ursprünglich als „Lex Google“ bekannt, sollte das Gesetz den deutschen Verlagen helfen, ihre Online-Angebote gegen die gewerbliche Nutzung durch Suchmaschinen zu verteidigen. So hatte es Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versprochen. „Private Medienunternehmen brauchen genügend Spielraum, ihre Investitionen müssen sich rechnen“, hatte sie 2011 auf dem Zeitungskongress in Berlin erklärt.
Die Verlage sehen ihr Geschäftsmodell im Internet durch Suchmaschinen gefährdet. Die führen in ihren Ergebnislisten kurze Anrisse von Nachrichtentexten auf - genug, dass Leser sich ausreichend informiert fühlten und nicht mehr auf die Webseiten der Zeitungen und Zeitschriften klickten, so die Verleger. Außerdem zeigen Suchmaschinen neben den Suchergebnissen Werbeanzeigen und verdienten so an der Arbeit der Verlage mit. Das Leistungsschutzrecht sollte dafür sorgen, dass Nachrichtensammler Verlagstexte nicht mehr ohne eine Lizenz nutzen dürfen.
Doch der Gesetzestext wurde wenige Tage vor der Abstimmung an entscheidender Stelle entschärft. „Einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte“ sollen weiterhin lizenzfrei genutzt werden dürfen, heißt es dort nun. Damit ist unklar, ob Google überhaupt von dem Gesetz betroffen sein wird. Wie lang ein „kleinster Textausschnitt“ sein darf, lässt die Koalition bewusst offen. Ist es so viel, wie Google bisher zitiert? Das Vorhaben sei von einem „Lex Google“ zu einem „Lex Garnix“ verkümmert, resümierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.
Der Internet-Konzern geht zumindest davon aus, dass er seine Geschäftspraxis nicht ändern muss. „Wir erkennen an, dass Suchergebnisse im Internet auch in Zukunft in der bewährten Form ermöglicht werden sollen“, erklärte ein Sprecher am Freitag. Google lehnt das Gesetz dennoch weiterhin strikt ab.
Die Grünen warfen der Regierung vor, das Gesetz diene allein der „Gesichtswahrung der Kanzlerin gegenüber den Verlagen“. Kritik kommt auch von Gewerkschaften sowie den Branchenverbänden Bitkom und eco.
Der Netzaktivist und Blogger Markus Beckedahl befürchtet, dass das Gesetz anstelle großer Internetfirmen einfache Blogger treffen werde. „Google hat viel Geld und eine große Rechtsabteilung. Wir haben beides nicht“, sagte er. Auch Fachleute könnten nicht sagen, ob das Gesetz jetzt vor allem symbolisch sei oder im Gegenteil „alles noch viel komplizierter“ mache, sagte Beckedahl, der zu der Kundgebung vor dem Brandenburger Tor aufgerufen hatte.
Auch Frank Westphal, der den populären News- und Blog-Aggregator Rivva betreibt, sieht Branchenriesen Google auf der Siegerseite: „Dass jetzt Google der deutlichste Profiteur und deutsche Startups die deutlichsten Verlierer des heutigen Beschlusses sind, ist der Geburtsfehler dieses Gesetzes.“
Letztlich müssen wohl die Gerichte entscheiden, wie lang ein Textanriss sein darf. „Vermutlich werden wir jetzt fünf Jahre lang darauf warten, bis der Bundesgerichtshofe diese Frage dann endgültig entschieden hat“, sagte Fachanwalt Hauke Hansen von der Frankfurter Kanzlei FPS Rechtsanwälte & Notare der dpa. Rivva-Betreiber Westphal hat seine Konsequenzen schon vorab gezogen: „Vor zwei Tagen habe ich die Länge der Vorschautexte auf 160 Zeichen beschränkt. Im Code ändere ich dafür zwei Bytes, auf der Titelseite ist der Unterschied dagegen riesig und gar nicht mal negativ.“